Gottes Samen

Das Münchner Residenztheater gräbt mit Fäusten an der Gegenwart

Theater heute - Logo

Gott ist nicht tot. Nur einfach nicht da. Stattdessen ragt ein Kran von einer mehrstöckigen Plattform krakenhaft ins Nirgendwo. Das Studierzimmer: eine Schmuddelecke mit Waschbecken, und auch sonst hat sich einiges verändert im meistzitierten deutschen Drama, und das mit Recht, versteht sich, «denn alles, was entsteht/Ist wert, dass es zugrunde geht …» etc. pp. Auch wenn die berüchtigten Knittelverse gleich wieder im Hirn mitrattern, will doch wohl nicht einmal der traditionsverliebteste Silbersee im Parkett noch ernsthaft in nostalgischer Treue zum Reclamheft verweilen.

Goethes «Faust» gehört zusammen mit dem «Ring des Nibelungen» und vielleicht noch der «Orestie» des Aischylos zu den Klassikern, bei denen man von jeder Inszenierung so etwas wie einen Weltentwurf, mindestens aber eine gehörig radikale Lesart erwartet. Die bleibt auch Residenztheaterintendant Martin Kusej, der sich den besonderen Stoff zum Ende seiner dritten Münchner Spielzeit gönnt, zumindest auf den ersten Blick nicht schuldig, auch wenn manches sehr an dystopische Hollywood-Science-Fic­tion erinnert. Zumindest gibt es im neuen Münchner «Faust» nicht einmal mehr eine ironische Reminiszenz an göttliches Walten und ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute August-September 2014
Rubrik: Festivals/Aufführungen, Seite 26
von Silvia Stammen

Weitere Beiträge
Lügen und leben lassen

Der erste Akt spielt vor einem mondänen Glitzervorhang. Der erste Eindruck aber täuscht: Hier wird keine Revueshow, sondern Ibsen gespielt. Wenn sich der Vorhang öffnet, wird dahinter ein recht unglamouröser Raum sichtbar. Auf die nackte, von Neonröhren beleuchtete Bühne hat Alexander Müller-Elmau nur ein paar Versatzstücke – einen Gartentisch, einen Eiskasten –...

Das Wohlstandsarrangement

Ich sehe: Geldautomaten (…), Hochgeschwindigkeitszüge, FKK-Strände, Kinder mit Handys, Reality-Shows auf MTV (…), Kaffee ohne Koffein / Bier ohne Alkohol / Süßes ohne Zucker / Fleisch ohne Choleste­rin». So stellt sich Europa von außen dar. Aus Sicht der somalischen Olympionikin Samia, die in Carla Guimaraes’ tragikomischer Flüchtlingsgeschichte «Die unglaubliche...

Aus vier mach zwei mach eins

Man kann die Geschichte kurz oder lang erzählen. In der Kurzform ist sie relativ einfach. Mathias Brodkorb, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Mecklenburg-Vorpommern, hat ein Gutachten zur Theaterstruktur in Auftrag gegeben und möchte auf dieser Grundlage das Theater Vorpommern mit Sitz in Greifswald und Stralsund und die Theater und Orchester...