Gefühle der Ohnmacht

Calle Fuhr «Monopoly – Eine Besteigung des deutschen Schuldenberges»; Jan Friedrich nach Tschechow «Onkel Werner» am Theater Magdeburg

Theater heute - Logo

Überall herrscht Mangel, ob in Kitas, Schulen oder Krankenhäusern. Und das in Deutschland, dem wirtschaftlich stärksten Land der Europäi -schen Union. Doch die großen Investitionen bleiben aus. Zu viele Staatsschulden. Noch mehr davon sind auf keinen Fall drin: Die Schuldenbremse muss schließlich eingehalten werden.

Doch was wäre, wenn jede Person dieses Landes seinen Anteil an den Staatsschulden einfach selber tilgen würde? Geht das überhaupt?

Auf der Suche nach Antworten nimmt Re - gisseur und Schauspieler Calle Fuhr das Publikum mit auf eine Heldenreise durch den Geldkreislauf. Dabei fällt auf: Vielleicht müssen Staatsschulden ja gar nichts Schlechtes sein. Am Ende seiner Fragen findet Fuhr vieles – nur keine überzeugenden Argumente für die Schuldenbremse. Schon gar nicht von Christian Lindner.

Anhand von nachgestellten Gesprächen mit Sparkassenvertretern, Journalisten und Ökonomen erläutert Fuhr die Komplexität des Geldkreislaufes und seiner Mechanismen. Alle Personen werden dabei von ihm selbst verkörpert, sind letztlich nur durch ihre verschiedenen Dialekte zwischen Rheinländisch und Berlinerisch zu unterscheiden. Die beherrscht Fuhr mal mehr, mal weniger gut, zieht sie aber immer mit so viel Ehrgeiz durch, dass er, im Hochdeutschen angekommen, glatt wieder ins Berlinerische rutscht. Die Fakten hinter den ganzen Geschichten seiner Protagonisten kann man anschließend im Begleitheft oder auf der Website des Theaters nachprüfen.

Es geht um die Rettung von René Benko, die schwäbische Hausfrau, die Excel-Panne von Reinhart und Rogoff und das Entstehen der Maastricht-Kriterien. Für das Publikum mögen manche dieser Fälle, Geschichten und Theorien bekannt sein, für manche nicht. In der Dichte aneinandergereiht, drängt sich allen jedoch ein immer größeres Unverständnis für die realen finanziellen Gegebenheiten auf. Denn das Festhalten der Schuldenbremse lässt sich auf Basis dessen, was Fuhr hier darlegt, kaum begründen. Außer vielleicht so: «Volkswirtschaft ist auch eine Geisteswissenschaft.»

Der Reiz von «Monopoly – Eine Besteigung des deutschen Schuldenberges» liegt nicht in raffinierten inszenatorischen Mitteln. Rotes und grünes Scheinwerferlicht genügen an diesem Abend für eine Gegenüberstellung des Für und Wider einer Schuldenbremse. Wenn Fuhr allerdings so rührend versucht, Magdeburg im heimischen Dialekt auszusprechen (es heißt Machdeburch, nicht Magdeburch) oder hier im Osten das Publikum selbstironisch fragt, wie er als Wessi an Geld kommt (er erbt es), dann entwaffnet er sich nicht nur selbst, sondern schafft es, die Zuschauer auf Augenhöhe anzusprechen. Das Publikum dankt es mit der Aufmerksamkeit und Geduld, die es für das Verstehen dieses komplexen Zusammenhangs braucht.

«Onkel Werner»
Komplex ist auch die Gemengelage von Onkel Werner, wenn auch eher emotionaler Natur. Gemeinsam mit seiner Nichte Sonja hat er die letzten Jahre die Pension seines verstorbenen Bruders geleitet. Doch als plötzlich seine Ex-Schwägerin Alexandra, ihres Zeichens gescheiterte Linken-Politikerin, aus Berlin zurückkehrt, scheint sich die Wut auf die enttäuschten Hoffnungen der letzten Jahre Bahn zu brechen. Einst hat Werner die Wahlflyer für Alexandra im Ort verteilt, doch auf ihre leeren Phrasen fällt er schon lange nicht mehr rein. Jetzt steht er da am Bühnenrand in seiner Jeanskutte, zermalmt den Schrott, den er den ganzen Tag in sich hineinfrisst und wettert gegen seine Mutter, seine Ex-Schwägerin und den naturverbundenen Notfallsanitäter Michael.

Mit «Onkel Werner» präsentiert Jan Friedrich eine Adaption des Tschechow-Klassikers «Onkel Wanja» und verlegt den Ort der Handlung vom russischen Landgut in die ostdeutsche Provinz. Draußen knattert der Rasenmäher, drinnen flackern die Neonröhren, und im Radio wirbt eine helle Stimme für ein Bettenstudio in Magdeburg. Max Schwidlinskis rostige Pensionsfassade, auf die immer wieder das dahinter gefilmte Live-Theater projiziert wird, beherbergt keine heimeligen, sondern zutiefst brüchige Verhältnisse. Die Menschen hier, das spürt man schnell, sind unglücklich. Nur zugeben will es keiner: Während Michael (Philipp Kronenberg) den Schmerz über den Tod seines syrischen Patienten in Alkohol ertränkt, erstickt Sonja (Luise Hart) ihren Liebeskummer in Arbeit. Nur eine Person scheint die Situation zu durchschauen und offen anzusprechen: Alexandras neue Partnerin Elena (Marie-Joelle Blazejewski).

In ihr unbekanntes Gesicht lassen sich die unausgesprochenen Kränkungen gegenüber der Welt wunderbar projizieren, ihr lässt sich auch die Schuld an allem geben – bis die hübsche Fremde schlussendlich von allen zur Hure erklärt wird. Nur folgerichtig, dass Friedrich diesen Vorwurf nicht nur den Männern überlässt. Auch Nichte Sonja wird trotz Elenas solidarischen Annäherungsversuchen von Selbstzweifeln zerfressen und versucht, in der Unbekannten die Schuldige für ihr Unglück in der Liebe sehen.

Friedrichs Figuren sprechen für sich, sind alle selbstgerecht auf ihre Weise. In Alexandra und Werner trifft Elite auf Pöbel, Erhabenheit auf Erniedrigung und Selbstüberschätzung auf Selbstmitleid. Was sie hinterlassen, ist ein Gefühl der Ohnmacht, das gewissermaßen lähmt, aber auch die Frage aufwirft: Wer ist für die Misere des Anderen verantwortlich? Sind es die Umstände oder doch die Individuen selbst? Wenn Iris Albrecht als Alexandra ihren Ex-Schwager mit herablassendem Argwohn nach ihrem verlorenen Handy fragt, wird deutlich, dass er sich ihrer Vorverurteilung nicht mehr entziehen kann. Aber auch Werner, gespielt von Nico Link, scheint der höfliche Ton, der ein Gespräch ermöglichen würde, und der Glaube an Menschen, die es gut mit ihm meinen, schon lange abhandengekommen zu sein. Wie dieses Aufeinandertreffen ausgeht, wird nicht von Vernunft, sondern von Gewalt geleitet. 
www.theater-magdeburg.de


Theater heute November 2024
Rubrik: Chronik, Seite 57
von Anna Hoffmeister

Weitere Beiträge
Geisterbahn in die Zukunft

Ist es Zufall, dass diese Gliederpuppe entfernt an den alten Konrad Adenauer erinnert? Michael Pietsch, der Puppenspielerund -bauer, mit dem Jan-Christoph Gockel regelmäßig zusammenarbeitet, hat der Titelpuppe das Gesicht eines alten grauen Mannes verliehen, ein kahles Haupt mit großen Ohren, langer Oberlippe, Doppelkinn und schon tief gesunkenen Augen. Müde und erschöpft sieht Doktor...

Oblomow in Manhattan

Für ihren Bestseller «My Year of Rest and Relaxation» (2018) hat die amerikanische Schriftstellerin Ottessa Moshfegh eine Figur geschaffen, die es in Sachen Passivität mit dem berühmten russischen Romanhelden Oblomow aufnehmen kann. Wie dieser würde sich auch Moshfeghs namenlose Ich-Erzählerin am liebsten nur in ihrem Bett aufhalten. Die junge, attraktive, finanziell unabhängige...

Schmierige Typen

Wie gehen wir mit Vorwürfen um, für die es keine eindeutigen Beweise gibt? Hat sich die Skepsis erst einmal festgesetzt, wird man sie so schnell nicht mehr los. Dann heißt es: im Zweifel für den Angeklagten. Denn wo nicht Recht vor Gerechtigkeit waltet, öffnen sich Tür und Tor der Barbarei. Doch was bedeutet das für die potenziellen Opfer? Auf welche Säulen können sie sich stützen, wenn...