Engel, Elfe, Gendernaut

Am Hamburger Schauspielhaus gehört Jana Schulz zu den wichtigsten Protagonisten. Das Geschlecht einer Figur ist für sie keine Grenze, sondern eine Herausforderung

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Tellheim schwankt. Schwer verletzt und pleite, hat sich der Major ordentlich einen angesoffen – und weiß nicht mehr, wie es weiter geht. Rechts oder links? Damen oder Herren? Unruhig flackert der glasige Blick zwischen den Toilettentüren, die Stefan Meyer links auf die Wirtshausebene seines verschachtelten Bühnenbildes für Lessings «Minna von Barnhelm» gebaut hat. Jana Schulz, die in Karin Henkels Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg diesen Menschen im Ausnahmezustand spielt, bringt die besten Voraussetzungen für solche Verwirrungen mit.

Ihr bleicher, schmutzigblonder Tellheim ist ein Kindersoldat unklarer geschlechtlicher Zuordnung, mit breitem, kräftigen Kreuz und steifem Arm, aber auch mit Brüsten und Frauenschenkeln, die sich unter ein Paar Nummern zu großer (und bald vollgesauter) Armeeunterwäsche abzeichnen. Zurückgekehrt aus einem Krieg, aller Hemmschwellen und Identitätsgewissheiten beraubt, säuft und kotzt und pisst sie wie der letzte Mensch auf der Welt. Pausenlos redet, lallt und stammelt sie vor sich hin, Durchhaltereden und Bußgeflüster im Wechsel.  
 

Crossover-Besetzungen sind keine Seltenheit im Theater: Erst kürzlich ließ Armin Petras junge ...

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Theater heute August/September 2008
Rubrik: Akteure, Seite 60
von Eva Behrendt

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