Engel, Elfe, Gendernaut
Tellheim schwankt. Schwer verletzt und pleite, hat sich der Major ordentlich einen angesoffen – und weiß nicht mehr, wie es weiter geht. Rechts oder links? Damen oder Herren? Unruhig flackert der glasige Blick zwischen den Toilettentüren, die Stefan Meyer links auf die Wirtshausebene seines verschachtelten Bühnenbildes für Lessings «Minna von Barnhelm» gebaut hat. Jana Schulz, die in Karin Henkels Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg diesen Menschen im Ausnahmezustand spielt, bringt die besten Voraussetzungen für solche Verwirrungen mit.
Ihr bleicher, schmutzigblonder Tellheim ist ein Kindersoldat unklarer geschlechtlicher Zuordnung, mit breitem, kräftigen Kreuz und steifem Arm, aber auch mit Brüsten und Frauenschenkeln, die sich unter ein Paar Nummern zu großer (und bald vollgesauter) Armeeunterwäsche abzeichnen. Zurückgekehrt aus einem Krieg, aller Hemmschwellen und Identitätsgewissheiten beraubt, säuft und kotzt und pisst sie wie der letzte Mensch auf der Welt. Pausenlos redet, lallt und stammelt sie vor sich hin, Durchhaltereden und Bußgeflüster im Wechsel.
Crossover-Besetzungen sind keine Seltenheit im Theater: Erst kürzlich ließ Armin Petras junge ...
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Ist das Fremde mir bekannt/ So wird dafür mir, was bekannt, ein Fremdes», sagt Jason in Grillparzers «Goldenem Vließ», als er Medea seine Liebe gesteht. «Ich selber bin mir Gegenstand geworden.» Sich selbst aus der Perspektive des Fremden sehen und so sich selbst erkennen – so könnte man Karin Beiers Spielzeitrezept formulieren, das sie den Kölnern im ersten Jahr...
Der Mensch sei eine Bestie, behauptet der Dichter. Aber nacktbäuchig ist er doch recht lustig anzusehen, entgegnet der Theatermacher. Das ist so der Diskurs zwischen Stephan Bachmann (geboren 1966) und Pedro Calderón de la Barca (geboren 1600, gestorben 1681), den sich der Zirkuszeltbesucher in einem Park direkt am Alsterufer im eher geschniegelten Hamburger...
Theater heute Stefanie Carp, Sie sind im zweiten Jahr Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen. Sie hatten Marie Zimmermann schon 2005 vertreten, als sie «Theater der Welt» kuratiert hat und sind jetzt ihre Nachfolgerin. Vorher waren Sie lange in wichtigen Zeiten an wichtigen Stadttheatern, waren Dramaturgin, als Frank Baumbauer das Deutsche Schauspielhaus...