Ein Schritt in die künstlerische Provinzialisierung
Theater heute Der Haushaltsentwurf des Bundes für 2025 sieht schlimme Einschnitte für die Freie Szene an zwei gravierenden Stellen vor. Einerseits soll der Fonds Darstellende Künste gekürzt werden von 10,3 Millionen Euro 2024 auf fast die Hälfte in 2025, nämlich nur 5,6 Millionen Euro. Dieser Fonds ist einer der großen und wichtigen überregiona -len Player in der Förderstruktur der Freien Szene.
Und an anderer Stelle soll den sieben Produktionshäusern der Freien Szene – FFT Forum Freies Theater Düsseldorf, HAU Hebbel am Ufer Berlin, HELLERAU Europäisches Zentrum der Künste Dresden, Kampnagel Hamburg, Künstler: -innenhaus Mousonturm Frankfurt/M., PACT Zollverein Essen, tanzhaus nrw Düsseldorf – der gemeinsame Produktionsetat von 5 Millionen komplett gestrichen werden. So der Stand des Haushaltsentwurfs, der jetzt in die parlamentarischen Beratungen geht, in denen vielleicht noch etwas repariert werden könnte. Aber wenn der Entwurf so realisiert würde, was würde das konkret bedeuten?
Annemie Vanackere Wenn es so käme, würde das Geflecht der Produktionshäuser massiv beschädigt. Es würde deutlich weniger Produktionen geben, es würde deutlich weniger Austausch geben. Ich kann diese Kürzungen auch gerade deshalb nicht nachvollziehen, weil wir mit relativ wenig Geld sehr viel Kunst in all ihren möglichen Erscheinungsformen produzieren. Wir sind keine der großen Institutionen, die aus dem gleichen Etat-Topf des Bundeskulturministeriums leben, wo sehr, sehr viele Mitarbeitenden immer mehr Geld kosten. Das ist bei uns alles nicht der Fall.
TH Kann der Koproduktionsverbund der sieben Häuser dann überhaupt noch sinnvoll aufrechterhalten werden?
Vanackere Miteinander reden kann man immer – mit oder ohne Geld. Miteinander arbeiten dann sehr viel weniger. Ich kam 2012 aus den Niederlanden nach Deutschland, als bei uns damals die sehr gut vernetzten Produktionshäuser kaputtgespart wurden. In Deutschland gab es diese Vernetzung bei Weitem nicht, was natürlich auch mit dem deutschen Föderalismus zu tun hat. In erster Linie sind wir ja abhängig von unseren theatertragenden Ländern und Kommunen. Dennoch, im Juni 2014 habe ich zum ersten Mal zu einem Treffen mit den Kolleg:innen der anderen sechs Häuser eingeladen. Ab dann ging es relativ schnell. In 2016 haben wir zum ersten Mal eine gemeinsame Förderung bekommen. Dieser Bundes-Anteil hat uns geholfen, ein ganz anderes Level von Zusammenarbeit zu erreichen, gerade auch um gemeinsam die aktuellen Transformationsthemen zu beackern.
TH An den Spielplänen ist deutlich zu erkennen, dass das Programm der sieben Häuser erheblich dichter und internationaler geworden ist, seit dieser Etat eingerichtet wurde.
Holger Bergmann Bei uns im Fonds Darstellende Künste konnte man gerade in den letzten Jahren sehen, wie sehr der Bund doch in der kulturpolitischen Verantwortung für diese Szene steht, auch wenn er erstmal keine direkte Verantwortung für Kultur trägt außer für seine eigenen Einrichtungen. Das gesamtstaatliche Interesse der Freien Szene besteht gerade deshalb, weil es eine Szene ist, die über Länder- und Gemeindegrenzen hinweg arbeitet, tourt, netzwerkt, Diskurse entwickelt, Themen setzt. Das ist schon ein Unterschied zu den sonst primär regional wirkenden Theaterhäusern, und es ist in den letzten Jahren geglückt, das deutlich zu machen. Und dieses Grundverständnis wird gerade in Frage gestellt. In der Coronazeit haben wir darüber hinaus das Überleben ganz vieler kultureller Akteure ermöglicht. Es bestand mit Ländern, Kommunen und dem Bund das Einverständnis, hier weiter anzusetzen. Der Bedarf wurde dann 2023 und 2024 auf ca. 10 Millionen festgesetzt – wir selbst hatten 16,5 Millionen angemeldet –, und nachdem dafür die Weiterentwicklung der Programme und die nötigen Umstrukturierungen erfolgt sind zum 30. Juni 2024, bekommen wir 14 Tage später Einblick in den Haushalt und sehen, dass dort die Verabredungen keinesfalls eingehalten werden.
TH Und die unmittelbaren Auswirkungen?
Bergmann Die Hälfte des Geldes bedeutet die Hälfte an Förderlinien. Wenn es so bleibt, werden wir von den sechs mühsam neu entwickelten, mit Bund, Ländern, Kommunen auf Fachebenen abgestimmten und mit den jeweiligen Haushältern abgesprochenen Programmen drei streichen müssen. Das wären die Rechercheförderung für die bundesweite Qualifizierung von Einzelkünstler:innen, also ein Stipendienprogramm. Das nächste wäre die auf jeweils drei Jahre angelegte Konzeptionsförderung – und zwar schon aus dem Grund, weil wir ja nicht wissen, wie sich alles in den nächsten Jahren entwickelt, Programme über ein Haushaltsjahr hinweg also gar nicht mehr planbar wären. Langfristigere Planungen sind dann nicht mehr möglich. Und die dritte Linie, die wir streichen müssten, wäre die Residenzförderung, also das Zusammenwirken von Künstler:innen und einzelnen Produktionshäusern, um damit auch gerade die Bedürfnisse der Künstler:innen an diesen Häusern zu stärken. Wir rechnen auch damit, dass die Antragszahlen in den bestehenden Programmen steigen werden, so dass sich die Förderquote verschlechtern wird. Wir standen da jetzt bei 25 Prozent, also 25 Anträge von 100 werden bewilligt – eine bundesweit angemessene Quote. Und noch etwas: Die Honoraruntergrenze, die in den Anträgen jetzt verbindlich festgehalten wird – eine zentrale Forderung des Bundeskulturministeriums von Claudia Roth übrigens –, wird sich möglicherweise auch nicht so halten lassen. Für Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit oder die Fragen zu Kunstfreiheit und Diskurseinschränkungen wird es nur noch minimale Finanzierungsmöglichkeiten geben. Das bliebe alles auf der Strecke – Dinge, für die diese Bundesregierung doch eigentlich angetreten ist und die sie im Koalitionsvertrag explizit festgehalten hat.
TH Hat Sie dieser Kürzungsbeschluss – sowohl für die Produktionshäuser als auch den Fonds Darstellende Künste – eigentlich überraschend getroffen? Oder ist das in irgendeiner Weise vorab kommuniziert oder abgeglichen worden?
Vanackere Da wurde leider nichts abgestimmt oder abgesprochen – das kam völlig überfallartig. Mitten im Urlaub.
Bergmann Es hätte durchaus Gelegenheit zu Gesprächen gegeben, aber es hat uns nichts erreicht. Kann natürlich immer sein, dass etwas in den letzten Minuten von Haushaltsverhandlungen passiert, weiß man nicht. Andererseits laufen diese Verhandlungen seit März, es gab also genügend Vorlauf.
TH Wie geht jetzt der Dialog mit der Politik weiter? Es gibt eine große, von Künstler:in Heinrich Horwitz initiierte Petition mit inzwischen über 36.000 Unterschriften, aber was für Gespräche finden konkret statt?
Vanackere Wir sind jetzt angewiesen auf die Gespräche mit Parlamentarier:innen. Das tun wir natürlich und suchen Kontakt vor allem mit den parlamentarischen Kulturpolitiker:innen und Haushälter:innen, um da unser Anliegen stark zu machen. Bei den Kürzungen ging es übrigens nicht nur um Programme, die jetzt eingestampft würden, sondern auch um Arbeitsweisen und ganz verschiedene inhaltliche Schwerpunkte der einzelnen Häuser.
Bergmann Der Bund schließt sich damit ab von einer Plattform, die als Zusammenschluss von sieben großen Produktionshäusern durchaus eine internationale Rolle spielt und erhebliche Ausstrahlung hat. Durchaus eine gesamtstaatliche Aufgabe!
Vanackere Gerade in einer Zeit, in der Deutschland aus internationaler Perspektive einen schweren Stand hat. Es gibt mittlerweile viele interessante internationale Künstler:innen, die keine Lust mehr haben, nach Deutschland zu kommen. Wir reden uns oft den Mund fusselig, damit sie es trotzdem tun. Das hat viel mit den Entscheidungen und der ganzen Staatsräson-Debatte nach dem 7. Oktober zu tun. Die Künstler: -innen sorgen sich um implizite Sprechverbote oder fragen nach der Sicherheit und Störungsfreiheit von Veranstaltungen. Ohne diese Bundesmittel werden wir diese internationale Arbeit nicht mehr so leisten können, was meiner Meinung nach in der Tendenz zu einer künstlerischen Provinzialisierung von Deutschland führen wird.
TH Noch kurz zurück zum Dialog mit der Politik. Der grundsätzlich sehr zugewandte SPD-Parlamentarier Helge Lindh hat darauf hingewiesen, dass in Zeiten der Schuldenbremse jede Rücknahme von Kürzungen gegenfinanziert werden muss, d.h. andere im Etat des Bundeskultur -ministeriums gekürzt werden müssen. Man muss möglicherweise die Freie Szene gegen die Filmförderung oder andere ausspielen. Wie sehen Sie das?
Bergmann Das ist leider genauso. Trotzdem muss man festhalten, dass der Haushalt des Bundeskulturministeriums ja in der Summe im Vergleich zum Vorjahr tatsächlich angewachsen ist – und zwar um etwa 40 bis 50 Millionen.
TH Und wohin geht das zusätzliche Geld?
Bergmann Das kann man nachlesen. Es gibt 17 Millionen mehr für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), die das für ihre Reformvorhaben sicher braucht. Ein großer Teil geht in die Tarifaufstockungen bei der Deutschen Welle, und dann gibt es noch für Schlösser und Gärten einen Aufwuchs von 10 Millionen. Das sind die auffälligsten Posten. Aber es macht ja keinen Sinn, das eine gegen das andere auszuspielen in einem so kleinen Kulturhaushalt mit einem Gesamtbundeshalt von 480 Milliarden. Das ist jedenfalls nicht unsere Aufgabe. Wichtig ist die Presseerklärung der SPD-Fraktion, die das Bundeskulturministerium ganz konkret auffordert, hier Lösungsvorschläge zu präsentieren.
TH Gibt es auch Kontakt zu Abgeordneten der Grünen?
Bergmann Man kann sagen, dass alle kulturpolitischen Akteure über das Ergebnis nicht erfreut waren, auch bei den Grünen. Was die Fonds betrifft, gab es im letzten Jahr eine klare Verabredung, dass wir auf dem bis dato vereinbarten Level die Zukunft weitergestalten können. Es gab viele Treffen, alle Details wurden besprochen. Hat viel Arbeit gemacht! 2024 sollte der Koalitionsvertrag endlich eingelöst werden. Nun hat jeder in diesem Jahr die 10 Prozent Kürzungsvorgabe verstanden, und man hätte angesichts der Gesamthaushaltssituation einen entsprechenden Einschnitt verstanden.
TH Sind Sie denn im Gespräch mit Claudia Roth darüber?
Bergmann Es gibt einen Dialog mit ihren Mitarbeitern auf unterschiedlichen Ebenen. Man sieht sich ja ohnehin bei verschiedenen Gelegenheiten. Es gab auch eine Einladung an uns mit allen beteiligten Fonds ins Bundeskanzleramt mit dem BKM-Amtsleiter, und ich denke, dort ist angekommen, dass hier wegen einer vergleichsweise kleinen Summe sehr viel Inhaltliches aufgegeben wurde, wofür diese Regierung eigentlich stehen wollte. Und dass das nicht so bleiben sollte. Allerdings hat das BKM das Verfahren jetzt aus der Hand gegeben. Denn jetzt entscheiden die Parlamentarier! Wir sind jetzt also damit in einem Wahlkampfhaushalt, in dem von den 700 Bundestagsabgeordneten mindestens 350 tolle Kulturprojekte aus ihrem Wahlkreis unterstützen. Das Denkmal hier, die Bibliothek da, die Veranstaltungshalle dort. Nichts dagegen, aber man befindet sich dadurch in einer Konkurrenz – man hat uns aus der relativen Sicherheit wieder zurück in das Rattenrennen geworfen, wer sich wie durchsetzt. Das ist sicher eine verpasste Chance der zuständigen Staatsministerin.
Vanackere Auch die Produktionshäuser wurden von der BKM eingeladen. Man merkt ganz klar, dass sie das selbst auch belastet und sie um eine Lösung ringen. Zum Glück sind wir mittlerweile aber auch hier wieder in Gesprächen, die Vertrauen wiederherstellen. Aber die Verantwortung liegt nun bei den Haushälter:innen – und das belastet uns dann wieder. Bei der SPK wird kein:e Besucher:in merken, dass da 17 Millionen zusätzlich geflossen sind, bei uns wird es jede:r merken. Es wird weniger Programm geben, weniger Internationales, dabei laufen unsere Sachen gut!
Bergmann Mich ärgert vor allem, dass man hier überflüssigerweise einen Konflikt aufmacht, wo wir an andere Stelle doch gerade genug Konflikte haben. Ich komme gerade aus Weimar, Dresden und Erfurt und weiß: Wir sind kein Nice-to-have für unsere Künstler:innen, hier geht es um die Frage, ob sie arbeiten können oder nicht. Und wenn es Gruppen gibt, die in ihren Kommunen oder Ländern demnächst kein Geld mehr bekommen, braucht es uns mehr denn je! Denn wer setzt dann Antidemokraten und Feinden der Kunstfreiheit etwas entgegen?
Vanackere Genau, die Freien Darstellenden Künste sind in diesem Land eine hart erkämpfte eigene «Sportart», mit eigenen Ästhetiken und Arbeitsweisen. Sie ist tief mit den Gesellschaften verbunden, mit anderen, diverseren sozialen Gruppen. Dass diese «zweite Säule der Theaterlandschaft» noch immer oder wieder geringschätzig als «Das-gibt-es-auch-noch» betrachtet wird, besorgt mich sehr. Das passt nicht zu meinem Verständnis von demokratischer Kultur. Die Freien Künste werden gerade jetzt immer wichtiger, weil sie mit ihren kritischen Ästhetiken die Demokratie stärker und resilienter machen.
Das Gespräch führten Eva Behrendt und Franz Wille
Theater heute Oktober 2024
Rubrik: Akteure, Seite 43
von Eva Behrendt, Franz Wille
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