Die Welt ist kleiner, als man glaubt

Rein rechnerisch gibt es so ein Festival nur alle sechs Jahre: Wenn sich der dreijährige Turnus von «Theater der Welt» mit dem zweijährigen der Neuen Stücke aus Europa trifft - und die alljährlichen Wiener Festwochen nur noch eines von drei großen internationalen Theater-Events sind. Das Super-Schaltjahr des europäisch-globalen Gastspielgewerbes ist nicht nur eine einmalige Gelegenheit, den deutschen stadt- und staatstheatralisch geprägten Horizont zu weiten. Es stellen sich auch einige Sinn- und Zweck-Fragen noch ein bisschen deutlicher, die der sommerliche Festivalzirkus ohnehin aufwirft: Denn wozu braucht man heutzutage eigentlich noch so dringen ein «Theater der Welt», wenn sich viele städtische Bühnen wie zum Besipiel Köln längst als internationale Koproduzenten tummeln? Wenn viele der öffentlichen Bühnen also gar nicht mehr so selbstgenügsam sind, wie ihnen das Vorurteil gerne unterstellt? Und was ist das eigentlich für ein Theater der Welt, das so ängstlich auf möglicherweise fremdenfeindliche Reaktionen in der einladenden Stadt schaut, als müsste man die Theater vor Halle schützen? Aber gerade in kosmopolitisch versierten Orten wird die Aufgabe des Festivalmachens nicht einfacher: In der Welt von Air Berlin und Ryanair, in der jeder Billigtourist die abgelegenen Locations am Wochenende bereisen kann, macht es zunehmend weniger Sinn, Inszenierungen aus ihrem lokalen Kontext zu reißen, statt gleich eine kleine Rundreise zu organisieren.

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Das Festival «Theater der Welt» in Halle war gerade eine Woche alt und hatte die Stadt an der Saale schon fast in eine kleine multikulturelle Wunderkammer verwandelt, da sprachen abseits der Bühnen am örtlichen Landgericht die Richter das Urteil: Eineinhalb Jahre nach dem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim im benachbarten Sangerhausen erhielten drei der Angeklagten wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung Haftstrafen bis zu fünf Jahren. Den Tätern bescheinigte das Gericht «ausländerfeindliche Gesinnung».



Während sich die Festival-Besucher in Gondeln gediegen durch die Wörlitzer Parklandschaft rudern ließen und in deutsch-romantischer Kulisse die Konfrontation mit afrikanischer Tanz-Kunst als gelungene Bewusstseinserweiterung feierten, um dann dem exotischen Buffett zuzusprechen, «beging» man im wenige Kilometer entfernten Halberstadt den Jahrestag des Anschlags rechtsradikaler Jugendlicher auf Ensemble-Mitglieder des dortigen Theaters. Nur kurz zuvor waren die Schläger, die doch zahlreiche Schaulustige beobachtet hatten, «aus Mangel an Beweisen» freigesprochen worden.

Am Abend des Finales der Fußball-Europameisterschaft – die Festival-Vorstellungen einer ...

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Theater heute August/September 2008
Rubrik: Festivals, Seite 6
von Bernd Noack

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