Die Furchtzeitlose

Der lange Weg in die Freiheit: von Fassbinder zum deutschen Filmstar, von Schlingensief zu Marthaler – ein Nachruf auf Irm Hermann

Ich war auch einmal, vor langer und für kurze Zeit, mit einer Schauspielerin zusammen, die zuvor Sekretärin gewesen war. Eines Nachts verließ sie mich. Wir waren 24 und gerade schlafen gegangen, nach einem dieser feuchtfröhlichen Abende mit ihrem Regisseur in einer einschlägigen Hamburger Theaterkneipe. Plötzlich setzte sie sich kerzengerade im Bett auf. «Ich muss zu ihm.» Das kam mir merkwürdig plausibel vor.

Wir packten ihre Sachen zusammen, ich bestellte ein Taxi und beschwor sie geradezu komplizenhaft, in jedem Fall und wann auch immer zurückzukommen, sollte es ihr etwa aufgrund eines unkooperativen Hotelportiers oder des ja noch immer hohen Alkoholisierungsgrades des Regisseurs nicht gelingen, Einlass in sein Zimmer zu finden. Doch sie hatte keine Angst. Sie war sich sicher.


An diese Nacht musste ich kurz denken, als ich jetzt Irm Herrmann auf YouTube von ihren ersten Begegnungen mit Rainer Werner Fass­binder 1966 erzählen hörte. Von einer nachtlangen Lesung des damals noch gänzlich unbekannten Autors aus seinem nie veröffentlichten Roman, in der Wohnung ihrer Freundin, der Schauspielerin Susanne Schimkus: «Der Rainer hat viele Zigaretten geraucht und bis morgens aus diesem ...

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Theater heute Juli 2020
Rubrik: Nachruf, Seite 26
von Matthias Pees

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