Danke für nichts

Völlig unverschuldet schlittert Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste Dresden in eine seiner größten Krisen

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Es muss sich anfühlen wie eine ganze Reihe von Nackenschlägen, die Ca -rena Schlewitt im Herbst einstecken musste. Der Intendantin von HELLE-RAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden, mit dem wunderbaren Festspielhaus am Rande Dresdens, einer der Leuchttürme der Freien Szene in Sachsen, ja, in Ostdeutschland, geht im nächsten Jahr möglicherweise das Geld aus. Schuld sind dabei nicht schlechtes Wirtschaften oder überzogene Budgets. Es liegt auch nicht daran, dass Hellerau sich zu sehr auf eine Einnahmequelle verlassen hätte, die jetzt versiegt.

Im Gegenteil, das freie Theaterzentrum ist denkbar breit aufgestellt: Die Grundfinanzierung kommt von der Stadt Dresden als institutionelle Förderung. Projektförderungen laufen vor allem von der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen, dem Fonds Darstellende Künste und was sich sonst noch so auftun lässt. Schlussendlich ist das Festspielhaus in zahlreichen Netzwerken aktiv, die wiederum über eigene Produktionsmittel verfügen, wie das Bündnis internationaler Produktionshäuser oder Explore Dance. Diversifizierung ist hier nicht nur ein Wort, sondern gelebte Strategie, um im Falle des Wegfalls oder der Kürzung an einer Stelle nicht gleich ins Bodenlose zu fallen. Eigentlich clever, sogar vorbildlich. Doch offenbar nicht clever genug angesichts der kulturpolitischen Entwicklungen des Jahres 2024, die erst jetzt voll durchschlagen. Nackenschlag Eins: Das Bündnis internationaler Produktionshäuser wird durch die Bundesbeauftragte für Kultur Claudia Roth (Grüne) eingestampft, die gleich auch noch – Nackenschlag Zwei – die Fördermittel des Fonds Darstellende Künste drastisch, nämlich um 10,4 Mio. Euro reduziert. Danke für nichts.

Die Stadt Dresden hat die Signale aus Berlin verstanden und kürzt ihrerseits den Zuschuss. Statt 1,62 Mio. Euro gehen nur noch 1,15 Mio. Euro an den Dresdner Stadtrand. In diesem dritten Nackenschlag lösen sich also ein halbe Million Euro unter der Leitung des aus der FDP stammenden Oberbürgermeisters Dirk Hilbert in Luft auf. Zugleich dürfte auch die städtische Projektförderung im Kulturbereich zurückgefahren werden, was Hellerau ebenfalls merken wird. Insgesamt möchten die Kommunalpolitiker:innen aus dem selbsternannten Elbflorenz 4 Mio. Euro im Kulturhaushalt sparen. Die wohlfeile Klausel der sächsischen Verfassung, die den Schutz der Kultur in Artikel 1 festschreibt, nützt hier nichts. Gar nichts. Der Dresdner Stadtrat definiert Kultur, und besonders die freie Kultur, einfach per Haushaltsbeschluss als nicht schützenswert. Ein fatales Signal, gerade in Hinblick auf die politischen Verhältnisse in der und um die ehemalige Residenzstadt herum. Aber da senden sie mit dem Bund oder der Berliner Landesregierung auf der gleichen Wellenlänge. Da helfen keine offenen Briefe, Proteste und Petitionen.

Vorläufige Haushaltsführung
In der Politik, das haben jetzt alle verstanden, hat die Kultur keinen Freund und Helfer mehr. Zwischen unwillig und unfähig, sich durchzusetzen, bleibt den entsprechenden Fachpolitiker:innen nach den Entscheidungen von 2024 nur noch, ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit ins Auge zu sehen. Für mehr als Sonntagsreden reicht es offenbar nicht, und selbst die sind rar gesät. Einzig der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda mahnt nach Kräften, dass man Haushalte nicht über Kürzungen in der Kultur saniere. Weise Worte, aber sie haben es weder bis nach Dresden noch Berlin geschafft, wo die Landesregierung ja mittlerweile sogar die Strangulierung ganzer Häuser billigend in Kauf nimmt. Die großen Häuser in Dresden – Staatsschauspiel und Semperoper – sind immerhin nicht bedroht, sie werden im Gegensatz zu Operette und dem Theater Junge Generation direkt vom Freistaat finanziert.

Der hat immerhin (noch) keine Kürzungen angekündigt. Dennoch gibt es auch von hier eins in den Nacken für Hellerau. Denn nach der Wahl im Herbst ist die Minderheitsregierung von CDU und SPD in Sachsen erst im Dezember angetreten. Es gibt aktuell also keinen verabschiedeten Haushalt, und die Verhandlungen darüber versprechen zäh zu werden. In der Folge gilt die vorläufige Haushaltsführung, sodass der Kulturstiftung des Freistaats für die eigentlich große Förderrunde Anfang des Jahres nur ein Drittel der Mittel zur Verfügung steht. Zwar dürften es im Herbst wieder mehr werden, aber für die Planung in 2025 sieht es erstmal mau aus.

In Hellerau, so erklärt Carena Schlewitt, sei man zumindest bis zum Sommer stabil aufgestellt, danach aber werde es schwierig. Das gilt vermutlich für alle. Nachdem es lange so aussah, dass die Politik die Anforderungen der Kultur verstanden und vor allem im Zuge der Corona-Hilfen mit entsprechenden Strukturprogrammen ausgestattet hatte, ist die Freie Szene jetzt zurück am Katzentisch. Die Kulturszene muss entsprechend offensiv damit umgehen. Sie muss unangenehm, frech und fordernd werden. Die braven Jahre sind vorbei, sonst drohen die nächsten Nackenschläge. Und die muss man stoppen, bevor sie zu Kettensägen und Holzhämmern werden.


Theater heute Februar 2025
Rubrik: Foyer, Seite 1
von Torben Ibs

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