Bis auf die Knochen

Jürgen Goschs ziviles Vermächtnis: Spielplätze von unbekümmerter Verzweiflung

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In der ersten Szene von Tschechows «Die Möwe» erklärt der arme Dorflehrer Medwedenko der Tochter des Gutsverwalters, Mascha, zum vermutlich x-ten Mal seine große, aber leider völlig unerwiderte Liebe. Mascha weist ihn routiniert, aber freundlich ab. Mit dieser Szene springt Tschechow ansatzlos ins Stück, und sie ist in unzähligen «Möwe»-Inszenierungen als unverbindliches Geplänkel vor­übergezogen mit demütigen Medwedenkos, die sich buckelnd ihre Abfuhr holen.

In Jürgen Goschs vorletzter Inszenierung brüllt Christoph Franken, eine korpulente, schwitzende Erscheinung, Meike Droste aggressiv-fordernd an, packt sie dann bei der Liebeserklärung im Nacken und schüttelt sie kräftig durch. Meike Drostes Mascha wundert sich darüber nicht weiter, und wenn sie wieder gerade schauen kann, zieht sie ihre Schnupftabakdose und bietet ihrem Peiniger eine Prise an. Gleichgültiger kann man nicht auf Gewalt reagieren, gewalttätiger einem Liebenden nicht seine Gleichgültigkeit bekunden. Die Sache mit der Tabakdose steht übrigens genauso im Text.

 

Zu Beginn des zweiten Akts von «Onkel Wanja», Jürgen Goschs vorheriger Inszenierung, kann Professor Serebrjakow, der den Sommer auf seinem Gut verbringt, ...

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Theater heute August/September 2009
Rubrik: Jürgen Gosch 1943-2009, Seite 24
von Franz Wille

Vergriffen
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