Auf Scherbenbergen

Die Berliner Kulturpolitik ist das Ärgernis des Jahres. Ein Rückblick im Jahr vor der nächsten Wahl

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Der wahre Sieger der Kritiker:innen-Umfrage im gerade erschienenen Jahrbuch dieser Zeitschrift ist die Kulturpolitik der deutschen Hauptstadt: 20 Voten als Ärgernis des Jahres! Ein Blick zurück: Vor einem Jahr verdunkelten sich die Sparwolken über der Hauptstadt erkennbar. Vor dem Sommer hatte der damalige Kultursenator Joe Chialo zwei etwas diffuse Interviews gegeben, in denen er auf drohende Kürzungen im Kulturbudget hinwies, was aber niemand besonders ernst nahm.

Hatte er nicht gerade noch nach der gewonnenen Nachwahl in der Hauptstadt vom größten Kulturetat aller Zeiten geschwärmt? Warum sollte sich das auf einmal geändert haben?

Was zu diesem Zeitpunkt nur Eingeweihte wussten: Der Nachtragshaushalt 2025/26 der Berliner CDU/SPD-Koalition war eine spektakuläre Luftbuchung. Um auf die notwendige schwarze Null zu kommen, wurden einfach pauschale Minderausgaben für 2025 und ’26 eingesetzt, die nie und nimmer zu erbringen waren. Entsprechend heftig platzte die Finanz-Seifenblase.

Um 130 Millionen Euro sollte der Kulturetat für 2025 geschrumpft werden; schließlich verkündet wurde dieser Nachtragshaushalt Mitte Dezember 2024 mit Wirkung ab 1. Januar 2025. Auch der/die sparbereiteste Intendant:in stand schließlich vor unerfüllbaren Forderungen: machen im Bühnenbereich Festanstellungen und fixe Infrastruktur doch allein circa 85 Prozent der Kosten aus. Und der Rest ist durch Vorplanungen und abgeschlossene Verträge ebenfalls schon weitgehend ausgegeben. Dabei sind die Kürzungsvorhaben keineswegs einmalig gemeint, sondern müssen in den Folgejahren fortgeschrieben werden. Hinzu, so wurde angedroht, kämen 2026 noch weitere 30 Millionen an Einsparvorgaben obendrauf.

Nur zur Größenordnung: 130 Millionen Euro machen in Berlin etwa 15 Prozent des Kulturhaushalts aus oder etwa die Zuwendung für die fünf großen Sprechtheater. Also wurden hektisch Premieren gestrichen, Nebenbühnen geschlossen, künstlerische Etats geschrumpft und – so vorhanden – Rücklagen aufgelöst. Besonders hart traf es die Freie Szene, deren Projektförderungen deshalb stark betroffen waren, weil man hier zuwendungsrechtlich – anders als bei den Institutionen – am leichtesten kürzen kann.

So kamen je nach Rechnung 40 bis 50 Millionen zusammen, vieles davon jedoch Einmaleffekte, die sich nicht – siehe die Auflösung der Rücklagen – würden wiederholen lassen. Der zuständige Kultursenator Joe Chialo wurde indessen nicht müde, die Kürzungen, die er ohne Widerstand durchgewunken hatte, als alternativlos zu rechtfertigen und den Kulturinstitutionen vorzuschlagen, doch bitte nicht zu jammern, sondern Sponsoren zu finden. So langsam dämmerte allerdings auch dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, dass für Berlin durch das Kulturfinanzchaos neben schlechter Presse auch handfester Schaden droht. Schließlich lebt die Stadt nicht unerheblich vom Hauptstadttourismus und ihrer kulturellen Anziehungskraft. Umwegfinanzierung ist zwar kein künstlerischer Grund, aber trotzdem gerade in Haushaltsdingen ein valides Argument. Allein 30 Prozent der Berliner Theaterkarten gehen an Touristen, die schließlich auch Hotels und Restaurants besuchen.

Schamloser Selbstwiderspruch
Vermutlich drang der Berliner kulturpolitische Selbstmord dann sogar bis in die Bundespolitik durch, so dass Chialo als schon sicher geglaubter neuer Kulturstaatsminister in allerletzter Sekunde durch Wolfram Weimer ersetzt wurde. Der gründlich blamierte Senator trat im Mai schließlich doch noch mit der bemerkenswert unglaubwürdigen Begründung zurück, er könne die Sparbeschlüsse nicht mehr mittragen – nachdem er ein Jahr lang nichts Erkennbares dagegen unternommen und sie bei unzähligen Gelegenheiten immer verteidigt hatte. So viel schamloser Selbstwiderspruch war selbst für Berliner Verhältnisse erstaunlich.

Mittlerweile versuchen der Regierende Bürgermeister und seine neue Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson zurückzurudern. Nicht dass man deshalb Fehler eingestehen würde, aber Wedl-Wilson verkündete kurz vor der Sommerpause immerhin, statt ursprünglich geplanter 160 Millionen unter Zuhilfenahme einiger Rechenkunststücke in Zukunft «nur» 110 Millionen zu kürzen, was die strukturellen Probleme allerdings bei Weitem nicht löst. Das Zurückrudern in der Berliner politischen Arena muss man sich dabei technisch eher als ein Vor-sich-Herschieben vorstellen. Man spielt auf Zeit, die Vergesslichkeit der Wähler, die Duldsamkeit des Koalitionspartners, verlängert Fristen, erfindet Transformationsphasen, gibt interessierten Journalisten freundlich-wolkige Interviews. Denn nächstes Jahr wird in Berlin wieder gewählt. Und der Souverän mit dem Stimmzettel in der Hand wünscht natürlich, dass der Regierende Bürgermeister und seine Senator:innen aus ihren zerschlagenen Porzellanbergen etwas gelernt haben. Nach Möglichkeit: erst denken, dann beschließen.


Theater heute Oktober 2025
Rubrik: Foyer, Seite 1
von Franz Wille

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