40 Jahre Systemfragen
«Was interessiert mich Kohle?», heult Orgon leise verzweifelnd und wälzt sich voll Selbstmitleid auf dem Boden.
Den Hausherrn in Molières «Tartuffe» hat es in Soeren Voimas Nachdichtung der unverwüstlichen Betrügerkomödie in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts verschlagen, und ökonomisch steht er anfangs da, wo man in der guten alten sozialen Marktwirtschaft als halbreicher Erbe damals eben so stand: Das heruntergewirtschaftete Gründerzeitmietshaus zwar als Eigentumshintergrund, aber die Freund:innen wohnten mietfrei, das Konto war leer, und man stand politisch in irgendeinem Fantasielinks zwischen K-Gruppe, Marxismus-Seminar und, nun ja, notgedrungen SPD.
Das monetäre Desinteresse wird sich bald ändern, denn ab da geht es im Schweinsgalopp durch die Zeiten. «Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie» folgt streng der gleichnamigen Wirtschaftsanalyse des französischen Starökonomen und Bestsellerautors Thomas Piketty, der die Einkommens- und Vermögensverteilung seit der Französischen Revolution, vor allem aber seit dem Einsetzen der neoliberalen Wende durch Ronald Reagan oder Margaret Thatcher untersucht hat. Damit wäre der Hauptschurke im Stück auch schon benannt, denn ein ...
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Theater heute Dezember 2021
Rubrik: Aufführungen, Seite 6
von Franz Wille
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Dass Frauen in Theaterstücken unter sich bleiben, kommt derzeit häufiger vor. Im vorliegenden Fall leben eine Großmutter, Mutter und Tochter zusammen in einer Wohnung und verhandeln klassisches Dramenpotenzial. Die Tochter wurde, wie sie selbst sagt, von einer Minute zur anderen erwachsen: «Juhu / Mit 17. / Keinem Kuchen und keiner Kerze / Mit zwei blauen Strichen,...
Manchmal träumt Nina nachts von endlosen Menschenschlangen, in denen eine Frau nackt hinter der anderen steht. «Das Einzige, was ich weiß, ist, dass es Mütter und Töchter sind. (…) Das verstehe ich an der Art, wie sie aneinander vorbeischauen. Aber sie suchen sich.» Vielleicht deshalb erzählt Ninas Mutter Tatjana auch nicht ihrer eigenen, sondern der Tochter ihrer...