Maßlos mit Augenmaß
Die Kunst ist krank. Seit sie das klassische Gleichgewicht aus apollinischem Formempfinden und dionysischer Maßlosigkeit zugunsten Letzterer eingebüßt hat, verzehrt sie sich – und mit ihr die Schöpfer, mitunter gar die singenden oder dirigierenden Nachschöpfer des Entgrenzten, des Unbedingten, des Rauschhaften.
Richard Wagners sich im «Tristan»-Akkord kristallisierende Emanzipation der Dissonanz, jener ins Unendliche zielende, sehrende, dauergespannte Klang, der sich erst im transzendierenden H-Dur der finalen morendo-Takte auflöst – er markiert die Initialzündung dieses musik- und womöglich schon kulturhistorischen Fin de Siècle. Richard Strauss sollte ihm in «Salome» (1905) huldigen, Franz Schreker wenig später in «Die Gezeichneten» (1918) und im «Fernen Klang» (1912), einer Oper, die wie kein anderes Bühnenwerk des Expressionismus einem therapeutischen Abarbeiten an der Wagner-Wunde, den Freud-Abgründen und der Untergangsstimmung vor dem Ersten Weltkrieg gleichkommt.
Noch unverblümter als der Bayreuther Meister stellt Schreker sich dabei selbst in den Mittelpunkt seines Werks. Kein kranker Krieger (Tristan), sondern ein kranker Komponist (Fritz), natürlich Heldentenor, sucht ...
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Opernwelt November 2019
Rubrik: Im Focus, Seite 8
von Peter Krause
Die Ehrfurcht vor Goethe war im eigenen Land so groß, dass sich im 19. Jahrhundert niemand an eine musikalische Verarbeitung des «Faust»-Stoffs wagte. Romanische Komponisten wie Charles Gounod oder Hector Berlioz, die mehr oder weniger erfolgreich in die Bresche sprangen, betrachtete man östlich des Rheins mit Argwohn. Von Goethes Drama angezogen fühlte sich auch...
Wenn es eine innere Verwandtschaft zwischen Oper und Kino gibt, so beruht sie nicht zuletzt auf dem Hang zum Exzessiven, Monumentalen. Zu den frühen Großmeistern zeit- und raumsprengender Formate gehörten ja nicht nur Tonschöpfer wie Hector Berlioz (etwa mit «Les Troyens») oder Richard Wagner, sondern auch Filmpioniere wie David W. Griffith («Intolerance») oder...
Frau Röschmann, kürzlich haben Sie als Alceste debütiert. Was muss man bei Gluck anders machen? Eine andere Stimmeinstellung finden?
Für Gluck vielleicht nicht, aber für das Französisch. Ich habe noch nicht so viel in dieser Sprache gesungen. Insofern dauerte es doch eine Zeit, bis ich das gelernt hatte. Parallel zur Alceste habe ich die «Tannhäuser»-Elisabeth...
