Kein Platz für zwei Verrückte

Der Tenor Neil Shicoff verbrachte gut 40 Jahre im Kampf mit sich selbst. Ein Gespräch über psychische Krisen, jüdische Kantoren und ungeöffnete Briefe

Herr Shicoff, Sie galten als idealer Sänger für gebrochene, auch intellektuelle Charaktere. Hat Ihnen das gefallen?
Dem habe ich nie getraut. Ich wollte nie bewusst den Eindruck erwecken, ein intellektueller Sänger zu sein. Emotionale Sänger schätze ich eigentlich weit höher. Ich glaube, wann immer ich Erfolg hatte, geschah das, weil ich emotional mit meinen Rollen verschmolzen war.

Schlussendlich glaube ich auch, dass alle Partien, die bei mir hervorstachen, zum Beispiel Hoffmann und Peter Grimes und Éleazar in «La Juive», nicht unbedingt intellektuelle Rollen waren. Sondern psychologische.

Sie haben sich zu Ihren Krisen stets selbstbewusst bekannt. Wie viele waren es?
Bei hundert habe ich aufgehört zu zählen. Für mich war alles Nervensache. Wichtiger ist: Ich habe durchgehalten. Ich stehe jetzt rund 40 Jahre auf der Bühne. Es war ein Kampf, vor allem gegen mich selbst. Gegen die eigenen Nerven und gegen die eigene Imperfektion. Unter Sängern bin ich Rekordhalter in puncto Therapiestunden.

Sie haben einmal gesagt, das Einzige, was Sie als Darsteller auf der Bühne verweigern würden, sei eine Erektion. Im Ernst?
In Wirklichkeit meinte ich, dass eine Erektion das Einzige ist, was ich auf ...

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Opernwelt Mai 2015
Rubrik: Magazin, Seite 76
von Kai Luehrs-Kaiser

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