Gefühls-Intensitäten
Man muss gar nicht in den hintersten Winkeln uralter Bibliotheken stöbern, um so Unerhörtes wie Alessandro Scarlattis «Il Cambise» aufzustöbern. Maestro Alessandro Quarta entdeckte das späte Meisterwerk des 1660 in Palermo geborenen überproduktiven Komponisten im digitalen Archiv der Biblioteca del Conservatorio di Musica S. Pietro a Majella in Neapel und schlug es dem Theater Kiel zur Aufführung vor. Das Opernhaus nahe der Förde erweist sich schließlich seit mehreren Jahren als enorm entdeckungsfreudig in Barockdingen.
Nach der venezianischen Legrenzi-Preziose «La divisione del mondo» ist es nun die neapolitanische Schule, die uns die verblüfften Ohren öffnet. Da wechseln unzählige virtuose Da Capo-Arien mit Rezitativen von prämozartischer Inspiriertheit und genialisch gebauten Duetten, Terzetten und Quartetten. Da sprühen die Orchesterfarben, da lädt das tänzerische Movens der Musik zum Abheben ein, da wirken die zugespitzten Affekte der Arien in ihrem artifiziellen Ausgezirkelt-Sein mit all den himmelhochjauchzenden Koloraturkaskaden und zu Tode betrübten Lamenti so konsequent antipsychologisch wie modern.
Die Entscheidung, die Berliner Urban Dance-Truppe «The way» von ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt 7 2022
Rubrik: Panorama, Seite 59
von Peter Krause
Ich sah Hectors Schatten wie einen einsamen Wächter über unsere Wälle schreiten», das singt Cassandre in ihrem großen Auftritts-Air im ersten Akt, nachdem der gläsern-luftige Chor der Trojaner, die sich der Illusion des Kriegsendes begierig hingeben, in schrillen Bläserfanfaren jäh verklungen ist. Jubelchöre, Staatsaktionen und hysterische Massenbegeisterung, die...
Herr Serebrennikov, das Theater St. Gallen hat die für Mai geplante Neuproduktion von Tschaikowskys «Jungfrau von Orléans» storniert und sie durch Verdis «Giovanna d’Arco» ersetzt – mit der Begründung, die kriegerischen Ereignisse ließen eine Aufführung der (musikdramaturgisch gelungeneren) Tschaikowsky-Adaption nicht zu. Beide Stücke basieren exakt auf dem...
Wohl bei keinem Dirigenten der Gegenwart ist die Trennlinie zwischen Bewunderung und Ablehnung so scharf gezeichnet wie bei Teodor Currentzis. Die einen, zu denen bei aller Bescheidenheit auch Currentzis selbst zählt, halten ihn für einen charismatischen Magier, der ganze Orchester in Bewohner von Klangwunderkammern zu verwandeln weiß. Andere, nicht minder...