Enge, arme Welt
In der jüngeren Vergangenheit ist Bergs «Wozzeck» häufig als hyperrealistisches Prekariats-Drama inszeniert worden. Christiane Iven, die einst selbst als Marie auf der Bühne stand, distanziert sich in ihrer nunmehr zweiten Regiearbeit am Anhaltischen Theater Dessau (im Rahmen des Kurt Weill Fests 2025) bewusst von diesem Trend. Sie setzt auf Stilisierung und Konzentration. Iven geht es weniger um drastische Details und das Ausmalen konkreten Elends als vielmehr um die Darstellung unverrückbar installierter Hierarchien mit ihrer eisernen Mechanik.
Was richten solche Machtverhältnisse bei den Untergebenen an? Kleine Verzögerungen im Spiel halten immer wieder die Zeit an; wie unter einem Vergrößerungsglas erscheinen diese Momente exemplarisch überhöht.
Eine innere Vergletscherung betrifft letzlich alle am tödlichen Spiel Beteiligten. Die Monstrosität von Wozzecks Peinigern überzeichnet Iven, ohne sie zu Karikaturen gerinnen zu lassen. Bei den viel zitierten «armen Leut’» dagegen sorgt die unüberwindbare Unterlegenheit für eine Form von stoischer Gleichgültigkeit. Der Sog des Abgrunds manifestiert sich in einem Kreislauf der Wiederholung: Der gemeinsame Sohn von Marie und Wozzeck ...
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Opernwelt Mai 2025
Rubrik: Panorama, Seite 52
von Regine Müller
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