Editorial

Dass Musik das Herz ergreift, den Atem raubt, zu Tränen rührt – solchen Formulierungen haftet schnell der Ruch des Klischees, des Kitsches, des Sentimentalen an. Und die Vorbehalte gegen eine Rhetorik der Gefühlsemphase haben gute Gründe. Zum einen, weil diese Emphase von der Werbung vereinnahmt und dort zur Absatzförderung eingesetzt wird. Zum anderen, weil differenzierte Urteile ohne analytischen (Sach-)Verstand nun einmal nicht zu haben sind.

Und doch: Musik kann zu einer «existenziellen Erfahrung» (Helmut Lachenmann) werden, die alles aufruft, was uns ausmacht: Körper und Seele, Individuum und Gesellschaft, Leben und Tod.
Die amerikanische Mezzosopranistin Lorraine Hunt Lieberson war eine Sängerin, die immer aufs Ganze ging. Wenn sie den Sesto in Händels «Giulio Cesare», Charpentiers Médée oder die «Neruda Songs» ihres Ehemanns Peter Lieberson vortrug, brannte in ihr ein Feuer, das unmittelbar auf die Zuhörer übergriff. Das hatte nicht nur mit dem berückenden Timbre der Stimme zu tun, nicht nur mit Technik und einer beeindruckenden Palette von Ausdrucksnuancen. Die Ausstrahlung dieser Künstlerin wurzelte in einer persönlichen Integrität, der jedes Posieren, jede kalkulierte ...

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Opernwelt März 2009
Rubrik: Editorial, Seite 1
von Stephan Mösch, Albrecht Thiemann

Vergriffen
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