Die Macht und das Mädchen
Im Anfang ist die wortlose Wollust. Aber sie ist, trotz der versöhnlich dahinströmenden Klänge im Graben, falsch: einseitig, dominant, unnachgiebig. Ein alter Mann beugt sich an einem schlichten Küchentisch über eine viel zu junge, nur mit einer bordeauxroten Bluse bekleidete Frau, bügelt die Wehrlose brachial platt, spreizt ihre Beine und dringt mechanisch auf sie ein.
Bevor es jedoch zum Schlimmsten kommt, betritt ein zweites weibliches Geschöpf, dem ersten verdächtig ähnlich, allerdings in schwarzen Jeans, weißer Bluse und grauem, bis über die Knie reichenden Kapuzenmantel den Raum, fläzt sich störrisch in einen modernen Drehsessel und unterbricht so das gespenstische Tête-à-Tête. Der Alte, in dem wir Johannas Vater erkennen, wendet sich vom Objekt seiner sinistren Begierde ab, das Mädchen verschwindet. Musik.
Mit diesem Entrée entblättert Lotte de Beer am Theater an der Wien sogleich ihre grundsätzliche Idee von jenem Stück, das bis heute ein Schattendasein fristet unter Tschaikowskys Bühnenwerken. Als eine epische Oper aus dem Geist der französischen Grand Opéra wollte der Komponist seine Adaption von Schillers Drama «Die Jungfrau von Orleans» verstanden wissen; zwei Jahre ...
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Opernwelt Mai 2019
Rubrik: Im Focus, Seite 12
von Jürgen Otten
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