Die Kinder des Orpheus
Wäre Robert Musil Zeuge dieses in vielerlei Hinsicht aufschlussreichen Abends geworden, er hätte vermutlich ein verschmitztes Lächeln aufgesetzt. Wieder einmal waren sich hier jene zwei Wesenheiten (oder auch: Denk- und Existenzmodelle) begegnet, die Musil in seinem unvollendeten Roman «Der Mann ohne Eigenschaften» so kongenial hatte aufeinander stoßen lassen: der «Wirklichkeitssinn» und der «Möglichkeitssinn».
Als Chiffren für den schier unlösbaren Antagonismus aus fantasielos-tumbem Gebaren hier und gedankenvoller Lebensidee dort, von Musil mit der ihm eigenen literarischen Grandezza ausgeführt, ließen sich diese Wortschöpfungen als Synonym auch für ein Phänomen gebrauchen, welches die zeitgenössische Musik seit langem begleitet – gleichsam stellvertretend für ein grundlegendes Missverständnis ambitionierter Kunst gegenüber. Sucht diese, auch mit dem Wissen um die Gefahr des Scheiterns, nach der Ausdehnung ihrer Mittel, so scheint eben dieser Versuch einer Ausdehnung eine enorme geistige Beschränkung bei denjenigen auszulösen, die dem Neuen a priori mit Entschiedenheit ablehnend begegnen. Konkret auf das, was in Hannover geschah, bezogen: Es hätte nicht viel gefehlt, und der ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Es ist alles Floskel auf Erden! «Falstaff» als Spiegel des frühen 21. Jahrhunderts? Wenn der Dickwanst die «Ehre» besingt, entlarvt das Orchester sein Gerede als Geschwätz. Der hehre Begriff wird durch banales Bläsergefasel und harmonisch zweifelhafte Flötenfigurationen verflüchtigt, die Violinen laufen ins Leere. Nichts ist es mit der Ehre. Alles ist Schein auf...
Am 24. Oktober 1998 kam Gioacchino Rossinis «Guillaume Tell» in einer Inszenierung von David Pountney erstmals nach Wien. Zumindest was die französische Fassung betrifft (vgl. OW 12/98). Der ORF hat diesen Premierenabend mit seinen Mikrofonen begleitet und den Mitschnitt im Schiller-Jahr zur Veröffentlichung bei Orfeo freigegeben.
Da die diskografische Situation...
Wer redet eigentlich von Michael Schade, wenn es um Anna Netrebkos Debüt als Donna Anna in Mozarts «Don Giovanni» bei den Salzburger Festspielen 2002 geht? Ohne die Zärtlichkeit und Intensität, mit der er als Don Ottavio vergebens um seine Braut kämpfte, aber auch ohne Martin Kusejs kühne Deutung von Liebesunfähigkeit und Todessehnsucht, ohne seine Darstellung...