Zuletzt Hoffnung
Fangen wir ganz weit vorne an. Bei Orpheus, dem Ur-Sänger. Orpheus erhob seine Stimme, um die Götter zu besänftigen, er wollte seine geliebte Eurydike zurück, die im Totenreich weinte. Was er mit seiner Stimme und der Lyra vermochte, vergeigte der Sehnende allerdings durch seinen Argwohn. Weil er der Kraft der vokalen Überwältigung misstraute, schaute Orpheus sich um. Und verlor im selben Augenblick, was er kurz zuvor gewonnen hatte.
In der Sozialgeschichte der Oper ist dieses tragische Erlebnis mehrere hundert Male aufgegriffen worden.
Menschen auf der Bühne singen, weil sie in Not sind, weil sie ihren Emotionen freien Lauf lassen wollen, weil sie andere überzeugen, überreden, im besten Fall erschüttern wollen. Auch den Protagonisten in Luigi Nonos Azione scenica in due tempi «Intolleranza» geht es nicht anders. Sie singen, um ihre Qualen loszuwerden, um gegen Missstände aufzubegehren und den Weg freizuschaufeln für ein besseres Leben mit besseren Menschen. Vor allem einer tut sich darin hervor. Der «Emigrante», jener Mann, der jahrelang als Bergarbeiter in der Fremde sein spärliches Geld verdient hat und nun nur noch eines will: nach Hause, zu den Menschen, die ihn verstehen, die ...
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Opernwelt August 2021
Rubrik: Im Focus, Seite 8
von Jürgen Otten
Die Götter tragen Weiß. Blütenreines, blitzsauberes Weiß. Sieht wirklich gut aus: schick, elegant, lässig. Vielleicht ein bisschen überkandidelt. Aber Götter dürfen dergleichen. Gilt doch für sie, mehr noch als für uns Irdische und ihrem Selbstverständnis nach die von Immanuel Kant in seiner «Kritik der reinen Vernunft» entwickelte Idee, derzufolge Raum und Zeit...
Krähe, wunderliches Tier. Hockt da dürrbeinig auf der Stuhllehne, neigt, wie von Geisterhand berührt, von Zeit zu Zeit den Kopf, lauscht dann erneut dem leisen Gesang der dem Wahn Verfallenen, die im wallend weißen Nachthemd vor ihr sitzt und manisch die Hände aneinanderreibt, so als könne sie damit jene schwere Schuld tilgen, die sie auf sich geladen hat. Schon in...
Der Prinz ist amoureux; es klingt ein wenig wie akustisches Parfüm, wenn er vom bezaubernd schönen Bildnis des ihm noch unbekannten Mädchens schwärmt: «Ô douce et charmante inconnue / Qui vient de t’offrir à mes yeux». Wobei es sich hier, eingespielt vom renommierten «Le Concert Spirituel» unter Hervé Niquet mit dem Tenor Mathias Vidal, musikalisch durchaus um die...