Tatort Kinderzimmer

Mariame Clément inszeniert am Aalto-Theater «Salome» als Missbrauchsgeschichte; im Graben reizt Tomáš Netopil die Strauss-Kompetenz der Essener Philharmoniker aus

Opernwelt - Logo

Schreckliches ist geschehen. Wir ahnen es, weil vorab Videoschnipsel eine Geburtstagsszene zeigen, in der die kleine Salome vom Onkel und Stiefvater Herodes ein rosa Tutu geschenkt bekommt. Immer wieder. Wir wissen es spätestens, als Julia Hansens Bühne sich ein einziges Mal dreht und ein missbrauchtes Mädchen einsam im dunklen Kinderzimmer liegt. Schrecklich, aber es entspannt für einen Moment das Auge des Betrachters, das an den nüchtern ausgeleuchteten Hauptbildern ermüdet: dem Hinterzimmer des Herodes-Personals und dem mit leeren Geschenkkartons vollgestopften Jugendzimmer der Salome.

Wieder hat sie Geburtstag, die kleine Gesellschaft trägt Partyhütchen, doch Stimmung will hier nicht aufkommen. Mutti (Marie-Helen Joël, eine präsente Herodias) trinkt, der Papa will, dass Salome im Tutu tanzt, sie will den Kopf des Propheten im Keller.

Als sie das Haupt des Jochanaan dann kriegt, weil sie es unbedingt will und der Stiefvater unbedingt Salome will, hängt der Restprophetenkörper zunächst noch dran am Kopf, ist auch nicht so tot, wie gesungen wird; erst am Ende wird er, auf dem Silbertablett, nachgeliefert, wie ein ironisches Zitat aus dem ehemaligen Skandalstück von Wilde/Strauss. ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Mai 2018
Rubrik: Im Focus, Seite 15
von Holger Noltze

Weitere Beiträge
Was kommt... Mai 2018

Wiedereröffnung
Das Warten hat ein Ende. Nach rund sechsjähriger Sanierung ist das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth wieder spielbereit. Das erste Stück: Hasses «Artaserse». Ein Bericht

Marianne Crebassa
Nach ihrem Salzburg-Debüt in der Titelpartie von Dalbavies «Charlotte Salomon» erregte die französische Mezzosopranistin dort 2017 als Sesto in Mozarts «Tito»...

Höllenarbeit

In einer theaterinternen Typologie werden Repertoireopern gern Etiketten aufgeklebt: «Fidelio» und «Freischütz» sind heute immer heikle «Interpretationsfälle», der «Ring» ein Prüfstein, die «Soldaten» eine Herausforderung, die «Lustige Witwe» etwas für die Kasse - und «Hänsel und Gretel» etwas für die ganze Familie. Zur letzten Kategorie gezählt wird häufig  auch...

Deus ex machina

Mondsüchtiger Taumel, laszive Erotik, rasende Obsessionen – schon die betörend schillernde Klarinettenfigur, mit der Strauss die Prinzessin aus Judäa einführt, lässt keinen Zweifel, dass sich etwas zusammenbraut. Im sehrenden Anfang schwingt das tödliche Ende bereits mit. All die Exzesse, Fantasien und Gefühlsexplosionen, die der 1905 in Dresden uraufgeführten...