Russlands Seele
Der Feind kann Russland nicht brechen», dröhnt es einem auf der Zielgerade entgegen, normalerweise jedenfalls. Und: «Wir schmettern den Feind in den Staub.» Selbst ohne tägliche «Tagesschau»-Dosis sind diese letzten Minuten schwer erträglich, Sergej Prokofjew lässt hier Chor und Orchester heiß- und leerlaufen. An der Bayerischen Staatsoper dröhnt die Stelle auch, aber kein einziges Wort ist zu vernehmen.
Eine große Banda ist aufmarschiert und übernimmt jenen Chorpart, mit dem nicht nur der Sieg über Napoleon gefeiert wird, sondern auch (und zum Wohlgefallen Stalins) der über den braunen deutschen Diktator.
Dass die Nummer überhaupt erklingt, ist ein kleines Wunder. Vor einem Jahr, als Stalins später Nachfahre die Ukraine angriff, stand «Krieg und Frieden» auf der Kippe. Regisseur Dmitri Tcherniakov wollte in München alles hinwerfen, ließ sich aber von Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski und Intendant Serge Dorny zum Festhalten am monströsen Zweiteiler überreden. Man griff zum Operationsbesteck, kürzte, amputierte, auch das Regiekonzept wurde geändert. Ein durchaus legitimer Vorgang, da Prokofjew bekanntlich zwar 13 Bilder hinterließ, aber keine letztgültige Fassung. Im Münchner ...
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Opernwelt April 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Markus Thiel
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