Lichte Höhen auf seltenen Erden

Beim neuen «Parsifal» der Bayreuther Festspiele setzt Regisseur Jay Scheib auf Augmented Reality, doch die mit Ohren zu greifende Realität ist viel interessanter, weil Pablo Heras-Casado dirigiert und Elīna Garanča die Kundry singt

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Wenden wir uns bei dieser Premiere, in deren Vorfeld sehr viel von Augmented Reality, von Brillen und Brillenkosten die Rede war, zunächst der akustischen Realität zu. Die war nämlich nicht weniger ungewöhnlich als das, was man durch die Brillen sah, und nutzte dafür sehr viel einfachere Mittel. Da ist der viel gelobte und immer als Konstante vorausgesetzte Festspielchor – spätestens unter Wilhelm Pitz und dann unter Norbert Balatsch ein Wunder an Durchschlagskraft, Präzision und Intonationssicherheit.

Die Gralsritter marschierten in Bayreuth lange wie eine geschlossene Truppe ein, rund und voluminös im Ton, selbstsicher im Glauben (Akt eins), unverhohlen in der Aggression (Akt drei). Diesmal schreiten sie nicht im gesunden Forte-Fortissimo, sondern halten sich an ein gespanntes Mezzopiano. Das zieht die Ohren ins Geschehen hinein und lässt viele Deutungsperspektiven zu. «Zum letzten Liebesmahle» gilt ja keiner Routineveranstaltung. Die Probleme der Ritterschaft sind offenkundig, besonders die ihres Königs Amfortas. Noch ist nicht sicher, ob und wie es weitergeht mit dem Gral und mit der Zukunft, ohne den dazugehörigen Speer. Kurz: Was bisher als üppiges, zugleich archaisches ...

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Opernwelt 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 4
von Stephan Mösch

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