Lauter Liebesträume

Vannina Santoni glänzt mit Arien von Alfano,Verdi, Catalani, Puccini, Massenet und Gounod

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Leere Quinten, das wissen wir aus dem letzten Lied von Schuberts «Winterreise», verheißen wenig Gutes. Unheil naht, nicht selten der Tod. So ist es auch zu Beginn des vierten Akts von Verdis «Otello». Desdemona schleicht, von Emilias Frage «Era più calmo?» nur vage berührt, wie somnambul durch ihr Schlafgemach, und kaum hat das Englischhorn seinen elegischen Gesang angestimmt, dem sich bald die Soloflöte hinzugesellt, ist es bald schon dieses hohltönende, menetekelgleich wiederholte Intervall im Bass, das vom Ende kündet.

Verdi hat für diesen Abschied aus dem Leben eine fast himmlische Musik geschrieben, und genauso singt Vannina Santoni, sanft-subtil vom Orchestre National de Lille unter Jean-Marie Zeitouni begleitet, erst dieses cis-Moll-Andante und später, nach einer enharmonischen Verwandlung hin zu Des-Dur (und wieder zurück), auch das As-Dur-Adagio: wie ein ekstatisch entrücktes Lied aus einer anderen Zeit, einem anderen Raum, einer anderen Welt – mit Pianissimi, die uns Schauer über den Rücken treiben, und mit einem letzten verzweifelten Ausbruch bei Desdemonas finalem Seufzer auf dem zweigestrichenen Ais, einem Ton, der die Grenze zwischen Erde um Himmel markiert. Beinahe ist man geneigt, Rilke umzudichten. Das Schreckliche, hier ist es nichts als des Schönen Anfang. Der Beginn der Liebe.

Der Titel des Albums deutet darauf hin: «Par amour» heißt es. Und versammelt einige der innigsten Liebesszenen aus der italienischen und der französischen Oper des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts; Desdemonas Preghiera bildet sein Herzstück. Aber nicht nur in dieser Anrufung der Madonna wandelt Vannina Santoni auf schmalem Grat: Sie riskiert generell viel, gewinnt aber gerade dadurch eine durchgehend hohe Ausdrucksintensität. Santonis technisch makelloser, hell timbrierter, strahlender Sopran ist voll verschiedener Valeurs, ihr agogisches Vermögen formidabel, das Legato Weltklasse. Jede Linie ist geschmeidig wie organisch geformt, glutvoll und doch niemals manieriert oder sentimental übersteuert, sei es in Katiushas Klage «Giunge il treno … Dio pietoso» aus Alfanos nach wie vor sträflich unterschätztem Musikdrama «Risurrezzione», sei es in Juliettes Arietta «Ah! Je veux vivre» aus Gounods «Roméo et Juliette». Santoni kann, das zeigt dieser Liebestraum in F-Dur, singend Walzer tanzen, und sie tut es mit einer Vitalität, die nur in der zwischenzeitlichen a-Moll-Eintrübung zu Beginn der zweiten Strophe («Cette ivresse de jeunesse») für Augenblicke einer leisen Melancholie weicht. Allerdings hat sie im Orchestre National de Lille und dem Dirigenten Jean-Marie Zeitouni auch exzellente Partner an der Seite, die sie wie auf Flügeln durch die Musik tragen – die federnden Viertel in Juliettes Bravourstück sind nur ein Beleg, die samten-sublime Untermalung für das Duett von Manon und Des Grieux aus Massenets zauberischer «Manon», das Santoni gemeinsam mit dem herausragenden Tenor Julien Dran singt, ein weiterer.

Ein anderes Stück aus dieser lyrisch getönten Opéra-comique bekundet die eklatante gestalterische Kraft dieser Künstlerin, die in Paris geboren wurde, deren Vorfahren aber aus Korsika und Russland stammen – anscheinend eine delikate Mischung. Mit Glaubwürdigkeit verkörpert Vannina Santoni die zahlreichen Wandlungen der Titelfigur in der Szene «Allons, il le faut! Adieu, notre petite table». Flammendes Liebesbekenntnis zeigt sich hier ebenso wie die plötzlichen Zweifel Manons (wo Santonis Stimme nicht nur bebt und bibbert, sondern sogar ein wenig hin und her flattert) und ebenso die tiefe, verzweifelte Leidenschaft, die dieser Frau innewohnt. Dass sie auch anders kann, leichter, lieblicher, lichtvoller, demonstriert die Sopranistin in Laurettas Schlager «O mio babbino caro» aus «Gianni Schicchi». Wie glänzende Perlen reihen sich die Töne an -einander, dass es eine Wonne ist. Aber plötzlich wird man daran erinnert, dass dieses Stück in der gleichen Tonart steht wie Verdis «Ave Maria» direkt davor – wenn Santoni vor dem letzten «Pietà!» plötzlich und immerhin auf dem hohen As, innehält, so als sei sie in Gedanken noch in Desdemonas Schlafgemach. An eine Koinzidenz mag man kaum glauben. Diese Verbindung ist Konzept. Und das Album ein absoluter Hochgenuss.

VANNINA SANTONI: PAR AMOUR
Vannina Santoni (Sopran), Albane Carrère (Mezzosopran), Julien Dran (Tenor); Orchestre National de Lille, Jean-Marie Zeitouni
Alpha Classics 1118 (CD); AD: 2023

VERLOSUNG 
Am 15. Mai um 10 Uhr verschenken wir 5 Exemplare dieser CD an die ersten Anrufer: 030/25 44 95 55


Opernwelt Mai 2025
Rubrik: Medien, Seite 35
von Virginie Germstein

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