Im Mozart-Himmel
Anna Prohaska ist immer für Überraschungen gut. In der Welt des Gesangs darf sie als eine Radikale gelten, die im Grunde vor nichts zurückschreckt. Ihr Repertoire reicht von Hildegard von Bingens mittelalterlichen Hymnen bis zu György Kurtágs «Kafka-Fragmenten». Bloßer Schöngesang ist nicht ihre Sache. Die Sopranistin sucht die Wahrheit in und mehr noch hinter den Noten.
Jetzt legt sie sieben der berühmtesten Mozart-Arien vor – Musik, die stupendeste Virtuosität der Stimmbeherrschung mit einer emotionalen Tiefe des Ausdrucks vereint: singulär in der Intensität der Erfindung. Prohaska deklamiert nicht nur die Worte, singt nicht nur die Noten, die diese in Klang übersetzen, sondern realisiert auch deren Bedeutung und den Geist, der sie trägt. Die Figur, die singt, ersteht gleichsam im psychologischen Profil vor unserem inneren Auge.
Dies wird schon in der Rosen-Arie der Susanna aus «Le nozze di Figaro» und in der Felsen-Arie der Fiordiligi aus «Così fan tutte» deutlich. Erstere träumt den Traum vom utopischen Augenblick einer Versöhnung der Geschlechter. Nichts zielt hier auf Wirkung ab, der Ausdruck besticht gerade in seiner absichtsvollen Schmucklosigkeit. Fiordiligis vokaler Sturmlauf wiederum macht deutlich, dass ihr Gleichnis vom unerschütterlichen Felsen letztlich nichts als reines Theater ist. Anna Prohaska beherrscht beides, die kristallinen Bögen Susannas wie die rasanten Läufe Fiordiligis. Gleiches gilt, in noch intensiveren Farben, für zwei ebenso konträre Frauen in Mozarts «Idomeneo»: hier die trojanische Kriegsgefangene Ilia, dort die von den Furien der Eifersucht verfolgte Elettra. Wie Susannas Rosen-Gesang wird auch Ilias klassizistisch serene Arie «Se il padre perdei» zum hehren Weltaugenblick – dies umso mehr, als Mozart den Gesang mit einem obligaten, geradezu betörenden Instrumentalquartett aus Flöte, Oboe, Fagott und Horn verwebt. Macht Prohaska hier ihre Stimme ganz licht, so greift sie in der Raserei der Elettra mit der lachenden Hysterie am Ende zu dunklen, fast schon hässlichen Farben – eine eindrucksvolle, wenn auch technisch nicht ganz bewältigte Darstellung einer für sie grenzwertigen Partie. Schlicht überwältigend gelingt Konstanzes «Traurigkeit ward mir zum Lose» aus der «Entführung », die, bar jeder Sentimentalität und jeden Selbstmitleids, schon im einleitenden Accompagnato in seelische Abgründe tiefster Liebe aus tiefstem Schmerz führt. Prohaska hebt jedes Wort, jede Nuance der melodischen Seufzer hervor, ohne in naturalistische Expression abzugleiten. Großartig auch Vitellias Abschiedsarie «Non più di fiori» mit dem konzertierenden Bassetthorn aus «La clemenza di Tito», in der die Resignation der in all ihren Plänen gescheiterten Intrigantin zum vollständigen Zusammenbruch führt.
Am Schluss des Programms steht die Konzertarie «Ch’io mi scordi di te?» KV 505 – eine «Scena con Rondò mit klavierSolo für Mad:selle storace und mich», wie der Genius in seinem Werkverzeichnis notierte. Mit dieser stimmlich berückenden wie emotional berührenden Liebeserklärung des Komponisten an seine Lieblingssängerin Nancy Storace erreicht Anna Prohaska den Mozart-Himmel. Mit ihrer im Kern lyrischen Stimme beherrscht sie, ohne sich Gewalt anzutun, mühelos alle Register von der Virtuosität bis zur Dramatik. Dabei hat sie in Riccardo Minasi und dem Ensemble Resonanz ebenbürtige Partner, die alle Feinheiten wie auch die imaginären szenischen Weiterungen von Mozarts ingeniöser Instrumentation hervorheben. Wahrhaft theatralisch ist auch die Wiedergabe der Haffner-Symphonie, die das Gesangsprogramm ergänzt. Ohne ihre Herkunft aus einer Serenade ganz zu übergehen, setzt sich im vitalen Orchesterspiel doch die Welt der Oper durch – mit einer flexiblen Agogik im großen Zugriff von Pauken und Trompeten, aber auch mit dynamisch schattierter Feinmotorik in den Mittelsätzen, die einmal mehr demonstriert, zu welch musikalischer Originalität und Brillanz die schlank besetzten Originalklang-Ensembles heute fähig sind.
MOZART – HAFFNER-AKADEMIE
Anna Prohaska, Sopran; Herbert Schuch, Klavier; Ensemble Resonanz, Riccardo Minasi
Harmonia Mundi HMM 902704 (CD); AD: 2022
VERLOSUNG Am 13. November um 10 Uhr verschenken wir 5 Exemplare dieser CD an die ersten Anrufer: 030/25 44 95 55
Opernwelt November 2025
Rubrik: Medien, Seite 31
von Uwe Schweikert
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