Geliehene Archaik

Verdi: Aida
Brüssel | Palais de la Monnaie

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Der Tenor ist nicht zu beneiden. Gleich nach dem kompakten Preludio, einer kurzen Scena und ein paar fanfarengestärkten Rezitativtakten muss er mit seiner berühmten Romanze für die nahe, ferne Geliebte ran: «Celeste Aida». Bis zum hohen B führt sie hinauf, von Flöte und Fagott gelockt, über Herzstich-Pizzicati der Streicher. Alles ist hier verzweifeltes Hoffen, innerer Aufruhr, sehrender Affekt.

Jeder Ton muss sitzen, con espressione, um die Fliehkräfte zu vermitteln, die den ägyptischen Feldherrn Radamès und die zur Sklavin degradierte äthiopische Königstochter schließlich in den Liebestod treiben. Quasi aus dem Stand geht es ums Ganze. Wer diese Auftrittsarie versemmelt, zieht mit schwerer Hypothek in eine Schlacht, die Verdi zwar mit viel Paukendonner, Trompetenschall und großen Chören ausgestattet, im Kern aber eher als intimes Melodrama einer liaison impossible angelegt hat. Vor gut zehn Jahren gab Roberto Alagna bei laufender Vorstellung an der Scala sogar auf, nachdem der loggione seinen suboptimalen Vortrag niedergebuht hatte – ein Trauma, das ihn bis heute verfolgt.

Ein solches Schicksal blieb Andrea Carè, dem Radamès der neuen Brüsseler «Aida», zum Glück erspart. Das ...

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Opernwelt Juli 2017
Rubrik: Panorama, Seite 37
von Albrecht Thiemann

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