Der König taumelt
Was den Menschen fasziniert, sei es ein Naturwunder, außerirdische Phänomene oder (im günstigsten Fall) ein anderes Menschenkind, führt ihn meist über sich selbst hinaus. Faszination ist dann womöglich eine transzendentale Erfahrung, und vermutlich geschieht das, was Maurice Blanchot in einem philosophisch begründeten Satz zusammengefasst hat: «Wer auch immer fasziniert ist, von dem kann man sagen, dass er keinen realen Gegenstand wahrnimmt, keine reale Gestalt, denn was er sieht, gehört nicht der Welt der Realität an, sondern dem unbestimmten Milieu der Faszination.
»
Roxane, der Gattin des (historisch verbürgten) sizilianischen Königs Roger II., widerfährt ein derartiges «Schicksal»: Sie erliegt der Aura eines Mannes, den sie in seiner wahren Gestalt (und Funktion) zunächst nicht erkennt, dessen Charisma sie aber dennoch instinktiv erspürt. Jener Hirte, der in ihres Mannes Königreich gekommen ist, um die Magie der Freiheit und der freudvollen Liebe zu verkünden, erzeugt bei ihr so große Wonnegefühle, dass sie alles um sich herum sträflich vernachlässigt, darunter auch den eigenen Gatten. Der wiederum begegnet dem Fremden mit dem Argwohn des angstbesessenen (Provinz-)Politikers; ...
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Opernwelt April 2023
Rubrik: Panorama, Seite 46
von Jürgen Otten
Um pointiert-scharfzüngige Worte war sie nie verlegen. Und um individuelle Sprachbilder auch nicht. Elfriede Jelinek, die große österreichische Schriftstellerin und Dramatikerin, hat sich mit ihren Romanen, Theaterstücken und essayistischen Gedankensteinbrüchen einen Platz im Olymp der Schreibkünstlerinnen und -künstler längst verdient. Dabei war es der...
Niemand kann den König spielen», lautet eine alte Theaterweisheit, das müssen die anderen tun. Sie gilt erst recht für den Hochstapler, auf der Bühne wie im wahren Leben. Also sitzt er in der Prager Staatsoper an einem Wirtshaustischlein, die Hose etwas zu hoch sitzend, aber durchaus elegant (schließlich ist er Schneider), die Füße leicht nach außen gestellt wie...
Das Licht geht aus, wie von Geisterhand setzen sich die Tasten des Flügels in Bewegung. In der Mitte des Raumes beginnt sich die kreisförmige Zuschauertribüne um die eigene Achse zu drehen. Langsam fährt das verblüffte Publikum an Podesten vorbei, auf denen mehrere Sängerinnen und Sänger in blau leuchtenden Perücken hinter halbdurchsichtigen Gaze-Schleiern sitzen –...