Das gezähmte Tier

Bergs «Lulu» leidet in Heidelberg an fehlender Personenführung, ist aber musikalisch perfekt koordiniert

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Erich Kleiber, der Uraufführungsdirigent von Alban Bergs «Wozzeck» 1925, sollte auch die «Lulu» in Berlin herausbringen. Während der noch nicht abgeschlossenen Komposition schrieb ihm der Komponist 1934: «Erstens muss die Lulu gut aussehen, aber schon sehr gut aussehen. Zweitens muss sie eine leichte, nicht allzu große, bewegliche Stimme haben, die mit der oberen Quint aber auch nicht die geringste Schwierigkeit hat.» Kolossal koloraturfähig müsse sie nicht sein, meinte Berg.

Derartig quicke Beweglichkeit bekam der Zuschauer in Heidelberg von Jenifer Lary obenauf zur Selbstverständlichkeit, mit der sie der Rolle vokal gerecht wurde, dazu eine perfekte Intonation. Was will man mehr? Mehr! Ungerechterweise muss das gesagt werden – denn dass diese Lulu wenig Kontur gewann, geht nicht allein aufs Konto der Wienerin, von der man sich allenfalls mehr Textverständlichkeit gewünscht hätte. Glamour und Allüre brachte sie auf die Bühne, nicht aber das Air des «wahren, des wilden, schönen Tiers», der Schlange, der süßen Unschuld, des Raubtiers, des Würgeengels, der Nelly, Eva, Mignon und all der anderen Zuschreibungen.

Dem Regisseur Axel Vornam mangelte es hier ganz entschieden an einer ...

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Opernwelt März 2022
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Götz Thieme

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