Böhmen liegt am Meer
Was habe ich nur verbrochen, dass ich so viel leiden muss!» Dieser Stoßseufzer Smetanas, bei deutschen Theaterbesuchern längst ein geflügeltes Wort, ist in tschechischen Opernhäusern undenkbar. Prag, Olmütz und Brünn, Pilsen und Aussig inszenieren publikumsfreundlich, die Dramaturgie wird den Stücken gerecht, Bühne und Kostüme ergeben Sinn und bereiten sogar Vergnügen. Der Smetana-Zyklus in Ostrava, dem einstigen Mährisch-Ostrau, bestätigt die grundsolide und deswegen noch lange nicht provinzielle Arbeits- und Kunstauffassung eindringlich.
Trachtenterror und IdyllenInflation sind immer auch ein bisschen Flunkerei. Hier ist die Oper noch ein Fest, und an neun aufeinander folgenden Tagen wird ein echtes Festival daraus.
Vor 150 Jahren sah das anders aus. Smetana klagte nicht grundlos, er litt furchtbar, wahrscheinlich so sehr wie kein anderer Komponist jener Zeit. Drei Töchter starben im Kleinkindalter, ihnen folgte seine junge Frau, eine zweite Ehe ging gründlich in die Brüche. Er selbst erkrankte – wie eine Obduktion nahelegte – an Syphilis und endete, vollständig ertaubt, im Irrenhaus.
Seine Landsleute bereiteten ihm die Hölle auf Erden. Obwohl er 1861 nach seiner Rückkehr aus ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt Mai 2024
Rubrik: Essay, Seite 62
von Volker Tarnow
Marc-Antoine Charpentier, der große Konkurrent Jean-Baptiste Lullys und bedeutendste Kirchenkomponist des französischen Barock, ist hierzulande nach wie vor ein Geheimtipp. Lullys Alleinherrschaft über die Pariser Académie royale de musique verwehrte ihm die Opernbühne und überließ ihm nur den Nebenschauplatz der Bühnenmusik zu Molières Theaterstücken. Sein...
Eine singuläre, ebenso bizarre wie tiefgründige Schöpfung sei der «Faust», schrieb 1826 Jean Jacques Ampère, der Sohn des berühmten Physikers, in «Le Globe», dem Pariser Intelligenzblatt, das sich als Propagandainstrument des Romantisme verstand. Man finde in Goethes Dichtung «Modelle aller Stile, von der grobschlächtigsten Komödie bis zur erhabensten Poesie; ein...
Die zweite und letzte Neuproduktion an der English National Opera (ENO) in dieser ansonsten aus Wiederaufnahmen bestehenden Spielzeit traf mit Lidiya Yankovskayas atmosphärisch dichtem Dirigat und Joe Hill-Gibbins’ spannender Lesart von Bartóks Einakter «Herzog Blaubarts Burg» trotz krankheitsbedingter Probleme ins Schwarze. Allison Cook, die eigentlich Judit...