Bittersüße Rache
Kinder, sagt man, können grausam sein. Sie quälen Tiere, streuen heimlich Reißzwecken auf Lehrerstühle, und manchmal vergreifen sie sich auch an ihresgleichen. Einfach so. Aus Lust, vielleicht aber schon mit dem Wissen darum, dass Macht eine geradezu magnetische Anziehungskraft besitzt. Die Szene, die sich während Ouvertüre und Introduktion zu Fromental Halévys «La Juive» auf der Bühne der Staatsoper Hannover abspielt, bestätigt diesen Eindruck.
Ein Junge hüpft durch die mit Kreide auf den Boden gezeichneten Quadrate, dorthin, wo er zuvor einen kleinen Stein hingeworfen hat, konzentriert, selbstvergessen, verspielt. Doch während eine jubelnde Menge auf einer Tribüne am linken Rand Platz nimmt und die Lobpreisung des Herrn anstimmt, tritt ein anderer Junge hinzu und stößt ihn brutal zur Seite. Ohne Sinn, ohne Verstand.
Aber nicht ohne Grund. Denn sein Opfer trägt eine Kippa auf dem Kopf. Er nicht. Und darin liegt die tieftraurige Botschaft dieses Vorfalls. Es ist der Christenjunge, der den Judenjungen malträtiert. Weil er anders ist, weil er an einen anderen Gott glaubt. Und weil er, der Christenjunge, glaubt, seine Religion sei die bessere, rechtgläubige: orthodoxe. Die Freiheit ...
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Opernwelt November 2019
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Jürgen Otten
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Dass der geheimnisvolle Mönch des Beginns am Ende die Königin von Spanien mit einem Baseballschläger zerschmettert, ist neu – das muss man Jens-Daniel Herzog lassen. Von Macht will der Regisseur laut Ankündigung erzählen am Staatstheater Nürnberg, was fraglos sinnvoll ist bei Giuseppe Verdis «Don Carlos» (gespielt wird die letzte Bearbeitung der fünfaktigen...
Der Weg der neueren Bildung geht von Humanität durch Nationalität zur Bestialität.» Als der österreichische Dramatiker Franz Grillparzer 1849 diese düstere Prognose stellte, konnte er nicht ahnen, welch grausige Wirklichkeit diese schon ein gutes halbes Jahrhundert später gewinnen würde: «Die letzten Tage der Menschheit» sah denn auch der Wiener Satiriker Karl...
