Auf Wanderschaft
Der Wanderer singt mit gespaltener Stimme, sein Gesang vervielfacht sich wie in einem Anfall von Schizophrenie. Anselm Dalferths Hörtheaterstück «The Cold Trip – Eine Winterreise» beginnt wie ein klassischer Liederabend, entwickelt sich jedoch bald zu einem verstörenden Streifzug durch wahnhafte Abgründe und vereiste Innenwelten. Das Stück verbindet den ersten Teil von Schuberts «Winterreise» mit Bernhard Langs zeitgenössischer Reflexion dieses Liederzyklus, «The Cold Trip», für Klavier, Laptop und Stimme.
In tadelloser Sängerhaltung am Flügel stehend, intoniert Steven Ebel das erste Lied «Gute Nacht». Begleitet wird er von Samuel Hogarth, dem musikalischen Leiter der Produktion. Ein klassischer Vortrag scheint da zu beginnen, wäre nicht dieser eigenartige, leere Blick, mit dem der Tenor in die Ferne starrt. Unbehagen stellt sich ein. Mitten in der «Wetterfahne» bricht Ebels Stimme plötzlich ab. Der Sänger kann sich nicht mehr auf den Beinen halten, sein Gesang droht in einzelne Partikel zu zerbersten. Bassbariton Harald Hieronymus Hein und die Sopranistin Maren Schwier stimmen aus dem Zuschauerraum heraus mit ein. Die Klänge, die das Mainzer Geräuschensemble erzeugt, lassen die ...
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Opernwelt März 2020
Rubrik: Panorama, Seite 46
von Silvia Adler
Marc-Antoine Charpentier (1643-1704) war der bedeutendste Kirchenkomponist des französischen Barock mit einem Riesen-Oeuvre, das dem Bachs kaum nachsteht. Der Weg zur Opernbühne blieb ihm durch das Monopol Lullys bis zu dessen Tod 1687 verwehrt. Mitte der 1680er-Jahre griff er dennoch zum Orpheus-Stoff – allerdings keiner fünfaktigen Tragédie-lyrique, sondern der...
Ein charmanter kleiner Etikettenschwindel ist die Sache schon. Den zweiten «Turandot»-Akt hatte Anna Netrebko bereits in der letzten Silvestergala der Met gestemmt – zusammen mit den ersten Aufzügen aus «Tosca» und «La Bohème». Fürs eigentliche Debüt in der Killerrolle als traumatisierte chinesische Prinzessin erwählte sie nun die Bayerische Staatsoper (wie schon...
Kaum zu glauben, dass diese Oper so spannend, so berührend wirken würde. Mit seiner Opernreform hat Christoph Willibald Gluck Geschichte geschrieben, von seinen 50 Opern werden aber nur noch wenige gespielt – jene «edle Einfachheit», die Gluck propagiert hatte, wurde rasch zum Ausgangspunkt neuer Entwicklungen und trägt heute Züge des Verstaubten. Allein, das muss...