„Sich auf neue Orte einlassen“
Anja Lawrenz ist an der Komischen Oper Berlin als Technische Leiterin der Außenspielstätten mit ihrem Team – das in Tempelhof nicht wesentlich größer war als für eine Produktion im Schillertheater – auch für den denkmalgeschützten Hangar zuständig. Am Auf- und Abbau waren auch externe Unternehmen beteiligt. Vier Wochen dauerte der Auf-, ca. zwei Wochen der Abbau. Einige Erfahrungen aus der Spielzeiteröffnung 2023 mit dem „Floß der Medusa“ ließen sich in diesem Jahr mitnehmen.
Wie sieht der Betrieb an einem theaterfremden Ort für mehr als 400 Menschen auf und hinter der Bühne aus?
BTR: Frau Lawrenz, Sie sprachen vom Prinzip Copy and Paste bei der Einrichtung von Hangar 4. Im Hangar 1 gab es im vergangenen Jahr beim „Floß der Medusa“ mit dem großen Wasserbecken und zwei getrennten Tribünen eine ganz andere Raumsituation. Was konnten Sie dennoch für den „Messias“-Spielort übertragen?
Anja Lawrenz: Am ehesten konnten wir die akustischen Maßnahmen wieder anwenden. Auch die einzuhaltenden technischen Richtlinien des Flughafens sowie die Statik des Dachs waren uns mittlerweile vertraut. Alles Weitere musste in der Tat neu gedacht werden, da sich sowohl die Platzverhältnisse und künstlerischen Wünsche deutlich vom vergangenen Jahr unterschieden, als auch die Anzahl der am Stück beteiligten Personen zusätzliche Anbauten nötig machten.
Und was wurde dadurch leichter?
Ungünstige Entscheidungen, die wir beim „Floß der Medusa“ teilweise getroffen hatten, konnten dieses Jahr vermieden werden, wie beispielsweise Teile des Backstage-Bereichs in der Halle selbst einzurichten. Dafür fehlen die Möglichkeiten, dort akustische Trennungen einzubauen. Und wir konnten die jeweilige Vorlaufzeit der einzelnen Planungsschritte besser abschätzen.
Welche besonderen Raumbedingungen und Unterschiede gab es zum Hangar 1, welche die Einrichtung insgesamt, den Aufbau der Tribüne mit ca. 1800 Plätzen maßgeblich beeinflussten?
Die Ausrichtung von Spielfläche und Zuschauertribüne ist eine künstlerische Entscheidung, die erst einmal unabhängig davon getroffen wurde, in welchem Hangar wir uns befinden werden. Die grundsätzliche Planung von Zuschauerwegen, Platzkapazitäten, Auftrittsmöglichkeiten und Einhaltung der brandschutztechnischen Anforderungen beginnt ja bereits 1,5 Jahre bevor der Aufbau startet. Die Hangars ähneln sich zum Glück ausreichend in den entscheidenden architektonischen Punkten.
Da der Hangar 4 mit seinen 4500 m2 – ohne Backstage-Räume – jedoch 750 m2 kleiner ist als der Hangar 1 bei gleichzeitig größerer Szenen- und Tribünenfläche im Vergleich zum Jahr davor, nahm diese nun die ganze Halle ein und ließ keinen Platz für weitere Einbauten. Daher mussten wir Ausweichflächen für das Foyer suchen, das wir dann in der überdachten Outdoor-Fläche des benachbarten Hangars eingerichtet haben. Für die Garderoben haben wir Zelte auf das Flugfeld direkt vor den Hangar gebaut. Insgesamt waren wir dieses Jahr viel außerhalb des eigentlichen Hangars aktiv. Außerdem musste durch weniger vorhandene Fluchttüren als ursprünglich angenommen die Kapazität von Zuschauern und am Stück Mitwirkenden nach unten korrigiert werden.
Hitze, Kälte, ein Unwetter mit echtem Regen in der Halle, ein Notfall im Publikum. All diesen Ereignissen wurde professionell begegnet. Welchen Umgang haben Sie und Ihr Team mit diesen Unwägbarkeiten?
Überraschungen erlebt man immer, sobald man aus seiner gewohnten Einrichtung heraustritt und Orte besiedelt, die mehr oder weniger einer Veranstaltungsstätte entsprechen. Wir müssen mit den Gegebenheiten des Gebäudes umgehen, auch wenn wir die nicht alle kennen. Das sind ja viele altersbedingte Eigenschaften, die sich irgendwann unvorhergesehen bemerkbar machen. Außerdem sind wir viel exponierter an solchen Orten und damit anfälliger für Wettereinflüsse. Es ist natürlich unangenehm, wenn solche Ereignisse während der Veranstaltung passieren. Wir bewerten dann gemeinsam, ob der Zwischenfall eine Gefahr für Mitarbeiter und Zuschauer darstellen könnte oder ob es technische Einschränkungen gibt, die den Bühnenablauf stören würden, und konnten daraufhin zum Glück jedes Mal die Vorstellung fortsetzen.
Die Projektgröße mit derart vielen Akteur:innen auf und hinter der Bühne: War das insgesamt etwas Besonderes für das Technikteam? Inwiefern?
Mit zunehmender Personenzahl auf der Bühne wird natürlich alles proportional größer: Zuallererst die Szenenfläche selbst. Damit ergibt sich aber auch ein höherer Bedarf an Beleuchtung, was wiederum auch den Rigging-Aufwand erhöht. Ebenso betroffen sind alle Backstage-Flächen, also Garderoben, Aufenthaltsräume, Sanitäreinrichtungen und Lagerflächen, und damit einhergehend wiederum der Reinigungsaufwand. Oder auch Details wie Fahrradparkplätze. Die Liste ist lang … Je mehr Garderoben errichtet werden müssen, desto weiter entfernen sich die Beteiligten von der Szenenfläche. Umso länger werden entsprechend die Wege und Zeiten, die für die Auftritte benötigt werden. Am direktesten betroffen von der großen Zahl der Mitwirkenden sind die Inspizienten und Regieassistent:innen, die in Teams von jeweils zwei bis drei Leuten das Bühnengeschehen koordiniert haben. Sowie unsere Requisite: Wenn jeder Beteiligte mit einem Gegenstand auf die Bühne kommt, sind das Hunderte Requisiten, in unserem Fall weiße Laken und viele Protestschilder, die ggf. verteilt, gelagert und gereinigt werden müssen.
Der letzte Teil des Messias spielt in einem großen Garten, von den Chören zusammengelegt aus vielen unterschiedlich großen, bepflanzten Platten. Auf dem Flugfeld konnte man das Wachsen verfolgen. Wer hat dieses lebendige Bühnenbild hergestellt und gepflegt?
Nachdem der künstlerische Wunsch für den Garten feststand, gab es zuerst einmal eine finanzielle Überlegung: Saatgut für Hunderte Quadratmeter Echtgras vs. dieselbe Fläche an B1-Kunstpflanzen. Hinzu kommen der große Betreuungsaufwand für die lebenden Pflanzen und der nicht minder große Herstellungsaufwand der Trägerplatten. Am Ende wurde es eine Mischung aus Echtpflanzen und Kunstmoos, um auch begehbare Flächen zu schaffen. Etliche Helfer haben Wochen damit verbracht, die Grundplatten mit den Kunstflächen vorzubereiten. Anschließend haben wir die Platten an die Firma Betonbotanik übergeben, die ebenfalls in wochenlanger Handarbeit die Substratkissen für die Rasenanzucht gebaut haben, sodass alles anfangen konnte, auf dem Flugfeld zu wachsen – noch weit, bevor wir mit den technischen Aufbauten begonnen hatten. Ein von den Garten- und Landschaftsbauern eingerichtetes automatisches Bewässerungssystem war die Voraussetzung dafür, dass im Hochsommer auf der Betonfläche des Flugfelds überhaupt etwas wachsen konnte.
Auf Basis welcher Fakten, welcher Erfahrungen organisieren und planen Sie die Einrichtung dieser außergewöhnlichen Spielorte?
Zuerst einmal muss man die technischen Randbedingungen der Spielstätte in Erfahrung bringen. Wie viele Personen fasst der Raum? Welche Bereiche dürfen bebaut werden? Dabei spielen Bodenlasten, Abstände zu tragenden Strukturen des Gebäudes, Hängepunkte, Deckenlasten und mehr eine wichtige Rolle. Wo befinden sich die Notausgänge? Mit diesen Informationen wird die künstlerische Grundidee dem Raum angepasst. Parallel dazu schaut man, welche Funktionen der Ort sonst noch erfüllen muss. Was muss abgesehen von Tribüne und Bühne außerdem noch Platz finden? Bei der Anordnung der einzelnen Bereiche gilt es dann, den besten Kompromiss zu finden zwischen Platzbedarf, der Nähe zu benötigten Medien wie Stromanschlüsse, Wasserleitungen und Frischluft sowie sinnvollen Verkehrswegen.
Bespielen Sie und Ihr Team gern die Hangars in Tempelhof? Was nehmen Sie persönlich mit aus dieser Zeit im Hangar 4?
Für einige unserer Mitarbeiter, die bisher ausschließlich an einem festen Opernhaus gearbeitet haben, ist der Wechsel zu einer temporären, erst noch zu schaffenden Spielstätte mit viel Outdoor-Tätigkeit eine ganz neue Erfahrung. Die zu bewältigenden Aufgaben sind vielseitiger und erfordern auch Improvisationstalent außerhalb des üblichen Tätigkeitsprofils. Es ist schön, dass gemeinsam zu erfahren und zu stemmen. Es ist genau das, was mich an unseren Außenspielstätten-Projekten so begeistert: sich auf neue Orte einzulassen und Wege für neue Anforderungen zu finden. Dadurch ist jedes Projekt für sich etwas ganz Besonderes. Aber auch ästhetisch bietet gerade der Flughafen tolle Möglichkeiten, andere Bühnenräume als den üblichen schwarzen Kasten entstehen zu lassen und sich in anderen Arbeitsräumen als gewohnt aufzuhalten. Dieses Jahr mussten wir ein quasi lebendes Bühnenbild draußen zwischen den Zelten lagern, dadurch hatten wir unser Büro und die Aufenthaltsräume mitten in einem kleinen Garten. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf das nächste Jahr und bin gespannt, was uns dann Neues erwartet! •
Frau Lawrenz, vielen Dank für das Gespräch!
„Messias“
Musikalische Leitung: George Petrou
Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühnenbild: Paolo Fantin
Kostüme: Klaus Bruns
Choreografie und Co-Regie: Thomas Wilhelm
Regieassistent:innen: Sophie Busch, Martha Jurowski, David Merz
Team Außenspielstätten: Nadja Frolowa, Patrick Heth, Anja Lawrenz, Lucia Leyser, Rebecca Schettler, Rainer Simon, Sebastian Ukena, Antonia Weber
Dramaturgie: Mattia Palma/Daniel Andrés Eberhard
Chöre: David Cavelius
Licht: Alessandro Carletti
Sounddesign: Holger Schwark
Sopran: Penny Sofroniadou/Julia Grüter
Alt: Rachael Wilson/Katarina Bradic
Tenor: Julien Behr/Rupert Charlesworth
Bass: Philipp Meierhöfer/Tijl Faveyts
Die Frau: Anouk Elias
Chöre: Chorsolisten der Komischen Oper Berlin/Projektchor Komparserie

BTR Ausgabe 6 2024
Rubrik: Produktionen, Seite 19
von Anja Lawrenz
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