Geisterbahn der Extraklasse

Die 78. Bregenzer Festspiele wurden mit „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber eröffnet. Nach dem erfolgreichen Debüt im Jahr 2019 mit „Rigoletto“ zeichnete Philipp Stölzl wieder für Regie, Bühne und Licht verantwortlich und scheute dabei keine zeitgemäßen Eingriffe in Text, Musik und Gang der Handlung. Parallel zur Realisierung des neuen Bühnenbilds wurde die alte Seebühne demontiert, zweistöckig wieder aufgebaut und eine neue Montagehalle errichtet

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Eine mythisch schauerliche Winterlandschaft hat Philipp Stölzl für das sommerliche Spiel auf dem See in Bregenz kreiert. Dem Publikum soll ein frostiger Schauer über den Rücken laufen. In seine filmisch angelegte Regiekonzeption mit einer bildgewaltigen Ausstattung und vielen technischen Finessen hat er effektvoll die Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft eingebunden.

Fünf Jahre hat Stölzl an der Moritat vom jungen Amtsschreiber Max gearbeitet – der um der Liebe und Karriere willen einen Pakt mit dem Teufel eingeht –, hat Kürzungen, auch bei den Arien, vorgenommen und einzelne Rollen, insbesondere die der Frauen Agathe und ihrer Freundin Ännchen, profiliert. Die Teufelsfigur Samiel hat er als eine Art ironischen Conférencier, der durch die Handlung führt, weiter ausgebaut. Jan Dvořák hat nach Stölzls Konzept die zum Teil gereimten Textpassagen verfasst. Zusätzlich zum Orchester etabliert Stölzl eine Banda, bestehend aus drei zusätzlichen Musikern auf der Bühne. Mit Vorschauen und Rückblenden nimmt er, insbesondere durch eine expressive, oft bewusst plakative Lichtgestaltung, die er zusammen mit Florian Schmitt kreiert hat, Einfluss auf Webers versöhnliches Ende und hinterfragt eingefahrene Sehgewohnheiten des Opernpublikums. Denn „Der Freischütz“ gilt als Inbegriff der deutsch-volkstümlichen Oper: Er rührt zum einen an die Naturverbundenheit, zum anderen an die Faszination irrationaler Phänomene in der Epoche der Romantik nach einer Phase der betont vernunftgeleiteten Aufklärung und unter dem Eindruck der gewaltsamen Eroberungen napoleonischer Truppen. Das Libretto von Johann Friedrich Kind ist geprägt von märchenhaft-mythischen Elementen; bewusst allgemeinverständlich wirkt auch Webers Musik, die auf die Liedform zurückzuführen ist. Die Uraufführung in Berlin im Jahr 1821 traf den Nerv der damaligen Zeit, am 17. Juli 2024 feierte nun Stölzls moderne Umsetzung des dramatischen Stoffes die Premiere auf der Seebühne Bregenz.

Ein Bühnenbild ohne Bühne?
Im August 2023 wurde gleich nach der letzten Aufführung auf dem See nicht nur mit dem Abbau des Bühnenbilds zu „Madame Butterfly“ (BTR 5/2022), sondern auch mit dem Abtragen des 45 Jahre alten Betonkerns begonnen, der oberhalb des Wasserspiegels des Bodensees Räume etwa für Technik, Garderoben und Maske bot. Das Zeitfenster bis zur Fertigstellung des neuen Baukörpers war auf nur zehn Monate begrenzt. Stölzl stellte sich der logistischen Herausforderung, quasi ein Bühnenbild zu kreieren, während die Bühne, also der Betonkern – die Basis jedes Bühnenbilds und zugleich die Hinterbühne mit der für die Inszenierungen notwendigen Infrastruktur – abgerissen und neu gebaut wurde. Die neue Seebühne ist schmaler, nun zweistöckig und auf die Mittelachse ausgerichtet. Es mussten zwei neue Versorgungsröhren unter Wasser verlegt werden, durch die Wasser-, Strom-, Luftdruck-, Licht-, Audio- und Netzwerkleitungen sowie Leitungen für Heizung und Kühlung vom Festland auf die Seebühne gezogen wurden. Versorgungsröhren wurden im Seegrund installiert und mit Betonteilen beschwert, sodass sie nicht an die Oberfläche aufsteigen können. Auf der Deckenplatte des Untergeschosses wurden modular Container positioniert, die Garderoben, Requisite, Maske, Feuerwehr, Seenotrettung und Aufenthaltsräume mit Panoramafenstern auf den See beinhalten. Diese können nun je nach Produktionsanforderungen umgestellt und angepasst werden. Seitlich und hinten ist der Betonkern durch eine Plattform auf 32 Stahlpiloten erweitert. Er verfügt über ein Untergeschoss mit Technikräumen für Hydraulikanlagen, Licht-, Tonund Medientechnik, das unterhalb des Wasserspiegels liegt. Parallel zur Sanierung der Seebühne wurde auch das Foyer der Werkstattbühne neu gestaltet und ein Komplex errichtet, um Gastronomie und Müllentsorgung sowie ein Großraumbüro mit Panoramafenstern und die Montagehallen unterzubringen. In den neuen Hallen wurde bereits 2023 an den Bühnenbauten zu „Der Freischütz“ gearbeitet. Letztlich erwiesen sich die Bauarbeiten als kreativer Impuls: Stölzl verlegte den Schauplatz der Handlung nach vorne, bis zur ersten Reihe der Zuschauertribüne, wodurch das Publikum an das Geschehen heranrückt. Der Regisseur wollte zusammen mit seiner Mitarbeiterin Franziska Harm die Menschen in die unmittelbare Zeit nach dem 30-jährigen Krieg versetzen. Der Krieg, die Kirchenspaltung und eine Flutkatastrophe haben bei der Bevölkerung innere und äußere Spuren hinterlassen: Die schiefen, schneebedeckten Häuser sind ruinös, der Kirchturm halb im Morast versunken. Zwischen Geröll und Baumgerippen breitet sich ein Sumpf aus, über dem der bleiche Mond schwebt. Die Menschen stecken buchstäblich im Dreck, wodurch sie traumatisiert, skeptisch und offen für archaische Rituale und Aberglaube sind.

Wasserspiele
Inspiriert von einem Infinitypool auf Malta, wurde für eine artifizielle Wasserlandschaft – die optisch mit dem Bodensee verschmelzen soll – eine tonnenschwere Holzkonstruktion auf 156 Fichtenpiloten über die gesamte Breite des Zuschauerraums von über 65 Metern im Seegrund verankert und mit einer Teichfolie abgedichtet. An den meisten Stellen ist das 1400 Quadratmeter große Wasserbecken 25 Zentimeter tief, doch verbirgt es auch seichtere und bis zu 4,15 Meter tiefe Bereiche sowie Verbindungsgänge für Ensemble, Technikteam und professionelle Taucher unterhalb der Wasseroberfläche. Als Experimentierfeld diente ein extra dafür angefertigtes, vergleichbar großes Testbecken. Im April wurde der Pool, der etwa 480.000 Liter Wasser umfasst und unter dem fast 1500 Meter Wasserrohre und Schläuche verbaut wurden, im See zum ersten Mal geflutet. 16 Pumpen ließen Wasser durch diese Leitungen fließen, das für die Wasservorräte und -effekte verwendet wurde. Alle Installationen unterhalb des Pools konnten nur in einem engen Zeitraum im Frühjahr ausgeführt werden, bevor der ansteigende Wasserpegel des Bodensees keine Arbeiten mehr zuließ. Dieser ist mehr als nur eine idyllische Kulisse; der See ist ein schützenswertes ökologisches System und birgt zahlreiche Unwägbarkeiten, daher müssen strenge Behördenauflagen zu seinem Schutz beachtet werden. Beispielsweise sollte sich nach Stölzls Vorstellung das klare Wasser eintrüben lassen, um ein eisiges Aussehen zu erlangen und um die verbaute Technik im Wasser zu verdecken. Wegen der hohen Qualitätsund Umweltanforderungen kam es aber nicht infrage, dem Wasser Farbstoffe oder Zusätze beizumischen. Das Einbringen natürlicher Sedimente aus dem See wurde ebenfalls verworfen, da die Algen den Boden rutschig machen und mechanische Bauteile verschmutzen und angreifen können. Erprobt wurde für die Trübung des Wassers auch das Generieren von Nanobubbles mithilfe von Hochleistungspumpen, eine Technik aus dem Bereich der Abwasserreinigung in Kläranlagen. Letztlich setzte man doch bevorzugt auf die Wirkung von Scheinwerfern und Nebelmaschinen. Auch eine Anlage zur Druckentspannungsflotation, einem Trennverfahren, bei dem ein unter Druck im Wasser gelöstes Gas bei Entspannung ausgast und beim Aufstieg sich an die schwebenden Feststoffpartikel anlagert, wurde installiert: Das Bodenseewasser wird dabei über eine Tauchpumpe in ein Reservoir gepumpt und vorsorglich von Kleinteilen wie Äste und Laub gereinigt. Daraus wird das Wasser immer dann ins Becken geleitet, wenn der Wasserstand unter 25 Zentimeter fällt, was durch Wasserstandsmesser überprüft wird. Damit das Wasser nicht über den Beckenrand schwappt, gibt es mehrere Überlaufrohre im Becken. Läuft es hinein, wird es ebenfalls vollautomatisiert gefiltert und wieder in den Bodensee abgelassen. Aus hygienischen Gründen wird das Wasser dreimal täglich ausgetauscht. Durch ihre Auftritte im Wasser bewegen sich die Darsteller:innen auf ungewohntem Terrain. Um Gefahren zu minimieren, wurde im gesamten Becken ein rutschfester Belag angebracht. Wie bei den letzten drei Produktionen wurde wieder das Luftartistik-Ensemble Wired Aerial Theatre aus Liverpool in das Spiel eingebunden. Die Stunt- und Bewegungsregie für die Stuntdarsteller:innen sowie die Schauspieler:innen und Sänger:innen übernahm Wendy Hesketh Oglivie, als Technical Stunt Director fungierte ihr Ehemann Jamie Oglivie. Dieses Mal waren nicht nur riskante Kletterpartien, sondern auch Tauchgänge vorgesehen.

Stoffe, Farben, Materialien und Effekte
Wegen der Mehrfachbesetzungen, auch mit Stunt-Darsteller:innen, mussten viele Kostüme und Schuhe jeweils in dreifacher Ausführung angefertigt werden, insgesamt rund 180 Kostüme und 100 Paar historische Schuhe aus wasserdichtem Material. Damit die Akteur:innen an Land nicht auskühlten, setzte Gesine Völlm auf lange und für besonders warme Tage kurze Neopren-Anzüge unter der Oberkleidung, deren Stoffe schwer und winterlich wirken und von Weitem eine Wiedererkennungswert für die einzelnen Figuren besitzen sollten. Das Dorf sollte abstrahiert und perspektivisch verzerrt erscheinen, ähnlich wie in den Spielfilmen des US-amerikanischen Autors, Regisseurs und Produzenten Tim Burton. Die Häuser sind in Weiß-, Grau- und Brauntönen gehalten, sollen wasserbeständig sein und alt und verfallen wirken. Dafür wurden acht Gebäude in verschiedenen Ausführungen gebaut, zwei davon nicht größer als Hundehütten. Alle bestehen größtenteils aus Stahlbau, Styropor und Holzplatten, die an der Außenseite mit Holzschindeln und Kaschur belegt und mit eingebauten Lautsprechern und Scheinwerfern ausgestattet wurden. Fünf der Häuser sind von innen begehbar und werden für Auf- und Abtritte benutzt. Viele der Türen und Fensterläden sind mit Federn und Seilzügen ausgestattet, sodass diese gespenstisch aufoder zuschlagen können. Der Kirchturm ist vom Beckengrund aus 12,4 Meter hoch und misst an der dicksten Stelle 3 Meter in Tiefe und Breite. Teile des Dachs können jeden Abend zur Vorstellung einstürzen, für diesen Effekt werden dessen einzelne Teile umgeklappt. Innenliegend sind Scheinwerfer und Nebelgeräte eingebaut, die einen Dachstuhlbrand simulieren. Das Kreuz an der Kirchturmspitze kann ferngesteuert in Flammen aufgehen. Unterhalb des Kirchturms versteckt verläuft ein Zugangsweg ins Wasserbecken; hier können Darsteller:innen unter der Seitenwand des Kirchturms über Leitern ins Becken tauchen. Grundsätzlich befindet sich unter dem künstlichen Hügel ein Tunnelsystem. Durch dieses können die Darsteller:innen und Techniker:innen über Stege und Treppen vom Betonkern aus ungesehen in das zweistöckige Wirtshaus, den Kirchturm oder in die Mitte des Wasserbeckens gelangen; Scheinwerfer unter Wasser sorgen für Sicht. Auf der Bühne sind 28 teilweise bis über 10 Meter hohe Bäume verbaut, die aus einer Stahlrohrkonstruktion, die mit Hasendraht als Steckmaterial, Hartschaum, Styropor und Fassadenputz ummantelt wurde. Zweige und Äste wurden aus dieser Ummantelung geformt und die Oberflächenstruktur der Bäume naturgetreu in diese eingeschnitzt, wofür zunächst Abgüsse von echten Bäumen genommen worden waren. Während der Proben waren die spitzen Enden der Äste mit Tennisbällen als Puffer versehen, um Verletzungen vorzubeugen.

Perfektion und Aktion
Mit einem enormen Willen zur Perfektion mussten die einzelnen Gewerke, Schauspiel, Stunts, Gesang, Orchester, die kleine Live-Combo, Geräuschkulisse, Hydraulik-, Licht-, Nebel-, Feuer- und Wassereffekte wie in einer Filmmischung, aber live, verzahnt und orchestriert werden. Stölzls frühe Erfahrungen mit den Musikvideos für die Band Rammstein und mit Metal-Konzerten (BTR 5/2023) flossen offensichtlich in seine Opernregie mit ein. Das mutmaßliche tragische Ende früherer Vorlagen für Webers Oper wird bereits vor der Ouvertüre vorweggenommen. Nicht das Orchester, sondern die Banda, begleitet nach Manier einer dramatischen Filmmusik eine Beerdigungsprozession: Agathe in Braut-Weiß mit roter Schusswunde auf der Brust, wird zur Beerdigung im offenen Sarg zum Friedhof getragen. Ihr Bräutigam Max, der unglückliche Schütze, erkennbar am grünen Wollschal, wird erhängt. Der vermeintliche Priester in schwarzer Robe und Hut entpuppt sich als der Teufel Samiel. Er klettert im roten Ganzkörperanzug eidechsenartig auf den höchsten Wipfel und führt das Publikum mit seinem Prolog in das Geschehen ein: Die Uhr am Kirchturm wird wie von Geisterhand zurückgedreht und Webers gekürzte Ouvertüre beginnt, wodurch die Handlung als Rückblende erklärt wird. In ihr klingen bereits die wichtigsten Leit- oder Erinnerungsmotive an: weich klingende Hörner für das Naturerleben, unheimliches Raunen der Klarinetten, tobende Höllenvisionen des gesamten Orchesters, die durch einen leuchtenden Es-Dur-Akkord für Agathes Liebesthema gebrochen werden. Die junge Frau, gekennzeichnet mit langen rotblonden Locken, ist das begehrte Ziel der jungen Dorfbewohner. Nicht der Schreiber Max, sondern Kilian ist Schützenkönig geworden, hänselt den Konkurrenten und ertränkt ihn fast in einer Stunt-Rauferei im Sumpf. Agathes Vater Kuno besteht auf dem Brauch des erfolgreichen Probeschusses, um seine Tochter und Erbförsterei zu erlangen, was in Max größte Versagensangst auslöst. Von Samiel im Baumgeäst in den Schoß genommen, erinnert er sich in einer neuerlich eingeschobenen Rückblende an sein Liebesglück mit Agathe beim Schlittschuhlaufen: Ein Stuntpärchen gleitet mit umkleideten Rollerblades auf einer „Eisfläche“, die aus einer Holzplattenkonstruktion besteht, auf die Acrylglasscheiben geschraubt sind. Die Holzplatten sind wie Eisschollen bemalt, sodass durch die Lasur der Acrylglasscheiben hindurch ein Tiefeneffekt erzeugt wird. Statt mit Filmmontage werden die Augen der Zuschauer:innen mit Licht und Aktion gelenkt: Der Kern der Handlung spielt in der Wolfsschlucht, dort soll mit Gruselelementen Spannung erzeugt werden. Allein 14 Nebelmaschinen sind für eine unheimliche Atmosphäre im Bühnenbild versteckt. Im roten Licht taucht aus dem Wasser ein Pferdegerippe samt Wagen auf, auf dem Samiel zur rasenden Höllenfahrt anspornt. Das Pferd, das mit einem Zugsystem über die Steigbügel Laufbewegungen vollführt, sowie die Kutsche bestehen aus Stahl, Holz und Kaschurwerkstoffen. Sie können mit Hydraulikzylindern aus dem Becken emporgehoben werden, wobei Druckluftmotoren die Räder der Kutsche antreiben. Die meisten Dekorationen wurden in den eigenen Werkstätten zusammen mit dem Maler- und Vergoldermeister Matthias Trosberger und seiner Innsbrucker Firma Edelbunt hergestellt. Die Tierbildhauerarbeiten, die Schlange, das Pferd, Hirsche und Adler hat der Theaterplastiker und -maler Frank Schulze mit seinem Unternehmen la mimesi geschaffen. Grün illuminiert unter Blitz und Donner entsteigen Taucher mit Zombiemasken dem Wasser. Die herbeibeschworene Teufelsfigur erscheint in Rot mit Hörnern und Schweif auf einer Riesenschlange aus einer Stahlrohrkonstruktion mit glänzenden Metallschuppen, deren Rücken zunächst wie ein Felsen wirkt. Sie kann mittels Hydraulik drei Meter hoch aus einer Vertiefung im Wasserbecken auftauchen und Feuer speien. Der Mond leuchtet in Magenta über der Szenerie.

Eingeschoben werden Agathes Traumsequenzen: Beispielsweise verleiht ein bunt illuminiertes Wasserballett im Stil der Synchronschwimmfilme der 1930er- bis 1950er-Jahre und sieben Meter hohe und zehn Meter breite Bögen von Wasserfontänen in der Lagune dem gezeigten Frauenbild einen bewusst süßlichen Beigeschmack. Das Bett, das an einem über zehn Meter langen Baum angebracht ist, der flach im Wasserbecken liegt, kann durch einen Hydraulikzylinder in die Höhe gedrückt werden. Unmerklich wird die Sängerin dabei mit einer Stuntfrau ausgetauscht. Besonders spektakulär wirkt beim Gießen der sieben Freikugeln und Aufsagen von Beschwörungsformeln ein lodernder Feuerkreis auf dem Wasser, der durch spezielle Unterwassergasbrenner ferngesteuert entzündet werden kann.

Sound, Licht und Projektionen für ein versöhnliches Ende
Für das Tonsystem Bregenz Open Acoustics, kurz BOA (BTR 2/2022), mit seinem speziellen Richtungshören sind 66 Lautsprecher im gesamten Bühnenbild eingebaut, teilweise sichtbar im Becken, aber auch versteckt hinter der Kaschur in den Hügeln und Häusern. Erstmals wurde in der Tonabteilung ein zweites Mischpult eingesetzt. Das erste Mischpult wird für das Orchester und den Chor im Festspielhaus verwendet. Das zweite wurde für die Sing- und Sprechstimmen sowie die Banda auf der Seebühne, vor allem für die atmosphärischen Geräusche, geortete Zuspielungen von Donner, Schüssen, Heulen von Wölfen oder Vogelstimmen nötig, ebenso ein zweiter Systemtechniker, der die Tracks nach einer eigenen Tonregie abspielt. Die Darsteller:innen können natürlich agieren und mit leichtem, lyrischen Timbre, auch nach hinten gewendet, singen. Dirigent:in und Orchester werden live über mehrere Videomonitore auf die Seebühne und auf die Zuschauertribüne übertragen. Umgekehrt werden Livebilder der Sänger:innen in den Großen Saal übertragen. 29 Lautsprecher-Masten in drei unterschiedlichen Höhen sind rund um die Seetribüne aufgestellt, um ein ausgewogenes, räumliches Klangerlebnis zu ermöglichen. Zusammen mit den Lautsprechern auf den Tontürmen und um die Tribüne herum werden insgesamt knapp 400 Lautsprecher genutzt. Zum ersten Mal ist Tracking für das Licht im Einsatz, im Tonbereich wird das Signal auch verwendet, aber nicht automatisiert, sondern zur Überprüfung und Nachkorrektur. Etabliert wurde hierfür das Verfolgersystem „Follow-Me“. Die gesamte Beleuchtung wird über ein grandMA2-System gesteuert. Hierbei kommen zwei Lichtpulte zum Einsatz: eines als Master, das zweite als Back-up. Das gesamte System ist mit einem 3D-Programm verbunden. Dadurch kann am PC auch tagsüber an den verschiedenen Lichtstimmungen gearbeitet werden. Die im 3D-Programm vorgenommenen Änderungen lassen sich abends 1:1auf das Original-Bühnensetup übertragen. Insgesamt 86 bewegliche LED-Scheinwerfer wurden verbaut.

Der auf die Romantik verweisende Vollmond steht auf Stahlbeinen auf dem Betonkern. Seine Frontseite besteht aus Holz und Kaschurwerkstoffen. Hinter dem Mond wird zum einen das große Wasserreservoir versteckt, zum anderen nutzt der 3D- und Video-Artist Simon Wimmer ihn als Screen für Videoprojektionen von einem Beamer am Festspielhaus über der Tribüne aus, die zum Schluss hin pseudo-religiöse, bewusst kitschig präsentierte Gottessymbole zeigen. So hinterfragt Stölzl skeptisch den Glauben an die Gnade Gottes und übt Kritik an einem versöhnlichen Happy End mittels einem Deus ex Machina: Unter der Verkleidung als christlicher Eremit mit einem golddurchwirkten blauen Mantel und mit weißem Rauschebart verbirgt sich Samiel, der die Maske am Ende fallen lässt und böse lacht. Das Auge Gottes in Form einer Videoprojektion zwinkert dabei dem Publikum zu. 

Eva Maria Fischer ist freiberuflich als Dozentin, Autorin und Journalistin im Bereich Theater, Kunst und Medien tätig.

„Der Freischütz“
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola, Erina Yashima 
Inszenierung, Bühne: Philipp Stölzl, Franziska Harm 
Technische Leitung: Wolfgang Urstadt
Ausstattung: Susanna Boehm 
Kostüme: Gesine Völlm
Licht: Philipp Stölzl, Florian Schmitt
Videoprojektionen: Simon Wimmer
Stunt- und Bewegungsregie: Wendy Hesketh Oglivie 
Technical Stunt Director: Jamie Oglivie
Maler- und Vergoldermeister: Matthias Trosberger (Fa. Edelbunt) 
Tierbildhauerarbeiten: Frank Schulze (Fa. la mimesi)


BTR Ausgabe 5 2024
Rubrik: Produktionen, Seite 14
von Eva Maria Fischer

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