«Den Zahn muss ich Ihnen ziehen»

Ruth Reinecke ist seit 37 Jahren am Maxim Gorki Theater engagiert und ist in dem jungen Ensemble unter der neuen Leitung von Shermin Langhoff ein ganz eigenes Kraftfeld

Lichtwechsel im Berliner Maxim Gorki Theater. Es folgt ein eher seltener ruhiger Moment in der lose montierten Monologfolge von Lola Arias’ «Atlas des Kommunismus». Ruth Rei­necke blickt auf ein angefleddertes Textbuch in ihren Händen, sie blickt zu den Kollegen auf der Bühne, ins Publikum, dann nimmt sie innerlich Anlauf. Und los: Sie wisse, dass das sinnlos ist, sagt sie, und wolle es trotzdem versuchen.

Einen seit bald drei Jahrzehnten vergangenen Theatermoment samt seinem historischen Kontext wieder auferstehen zu lassen, zumindest eine Ahnung davon in die Gegenwart zu holen. Das grenzt an Totenbeschwörung: «Das ist mein Original-Textbuch ‹Die Übergangsgesellschaft›, ein Stück von Volker Braun, das er 1982 schrieb, seine Version von Tschechows ‹Drei Schwestern› in der Endzeitstimmung der DDR.» Ruth Reinecke spielte darin Mette, eine, die nicht dazu gehört und von draußen kommt, von außerhalb der Familie, des Alltags, der Regeln – ein bisschen lockerer, lebendiger als der Rest der Figuren, die da in einer realexistierend heruntergekommenen Villa ihr postidealistisches Mütchen kühlen. Erst im Frühling 1988 kam das Stück am Gorki-Theater heraus, bis zur Wende gab ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Januar 2017
Rubrik: Akteure, Seite 30
von Ulrich Seidler

Weitere Beiträge
Basel: Werbespott

Vater, Mutter, Tochter, Sohn sitzen zu Tisch. Heute gibt es Friede, Freude, Eierkuchen. Eigentlich gibt es immer Friede, Freude, Eierkuchen, wenn sich die Musterfamilie aus der Komödie des jungen Ostschweizers Philippe Heule am Theater Basel vereint. Papa lobt Mamas Küche, Maxi lobt Mamas Figur, Moni ihr neues Parfüm (also ihr eigenes, nicht Mamas), und alle...

Erinnerungen an die Revolution

Nicht wirklich lustig, vier Tage nach der Schockstarre, in die die US-Wahlen geführt hatten, lustig sein zu wollen. Mit einem Stück, in dem es um einen Egoisten geht, der der Frau seines Freundes in den Schritt greift und alle Prinzipien lustvoll über Bord wirft, wenn es ihm nützt. Der Egoist heißt Johann Fatzer, ersonnen hat ihn Bertolt Brecht vor knapp 90...

Kunst allein genügt nicht

Das Flugzeug der Austrian Airlines setzt auf der Landebahn des Wiener Flughafens auf. Es ist der 5. Dezember 2016. Der Tag nach der «Schicksalswahl». Wie jedes Mal plärrt unmittelbar nach der Landung dieser nervtötende Potpourri aus Walzer und Mozart aus den Bordlautsprechern. Willkommen in Österreich. 

Das Leben geht weiter. Immerhin, als am Tag davor kurz...