Lasst Taten sehen!

#MeToo ist im deutschen Theater angekommen – als Struktur-Debatte

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Der Worte sind genug gewechselt. Jede Seite hat ihre Argumente auf den Tisch gelegt, seit im Oktober letzten Jahres Harvey Weinsteins Machtmissbrauch gegenüber Schauspielerinnen öffentlich wurde: Der Aufschrei #MeToo war nur der Auftakt, millionenfach auf Facebook gepostet – «ich auch, auch mir ist es passiert», sexistische und sexuelle Übergriffigkeit in der Spannbreite von anzüglichem Kompliment bis Vergewaltigung.

Jahrzehntelang schamvoll beschwiegene Vorgänge im Kultursektor kamen ans Licht, und es gab endlich Konsequenzen: Weinstein, der mächtigste Hollywood-Produzent, musste seinen Stuhl räumen, und das war nur der Anfang. Das Ende der Karriere ereilte mittlerweile weltweit Produzenten, Regisseure, Schauspieler, Intendanten, Dirigenten. Nicht nur weibliche Opfer meldeten sich zu Wort, auch schwuler Missbrauch wurde zum Thema. In Schweden wird im Juli 2018 ein Gesetz in Kraft treten, das eine explizite Einverständniserklärung vor dem Sex vorschreibt.

Vermehrt laut wurden aber auch Stimmen, die vor einer Überhitzung der Debatte warnten: vor der «Hexenjagd» auf mutmaßliche Täter, deren Schuld nicht mehr juristisch nachgewiesen werden musste, um das Karriereaus einzuleiten. Vor einer neuen Bigotterie, die interessanterweise vor allem von Frauen befürchtet wurde, nicht nur in Frankreich, wo eher reifere Jahrgänge wie Catherine Deneuve und Catherine Millet das Recht der Männer verteidigten, «lästig zu sein», und die Kraft der Frauen, sich zur Wehr zu setzen, beschworen. Sondern auch von der deutschen Schriftstellerin Thea Dorn, die im Namen der Kunst vor einem neuen «moralischen Totalitarismus» warnte. Eine Zuspitzung, die der Journalist Georg Diez eine «Grabplatte des Diskurses», der dringend nötig sei, nannte. Erfrischende Querfronten in einer längst überfälligen Debatte, die sich durch viele Grauzonen bewegt und erfreulicherweise keineswegs in einer einheitlichen Meinungsblase geführt wird.

Die 50-Prozent-Quote

Im deutschsprachigen Theater allerdings blieb es erstaunlich still. Dieter Wedel, Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, als Fernsehregisseur bedeutender als im Theater, blieb der einzige Name, der öffentlich wurde. Der Rest war Raunen: Bei etwa 15 Namen in Deutschland «hebe sich keine Augenbraue» im Kontext sexueller Übergriffigkeit, bemerkte die Schauspielerin Pauline Knof im Berliner «Tagesspiegel», und etliche Kolleginnen bestätigten die Normalität sexistischer Übergriffe, ohne konkret zu werden.

Das Argument, dass die Kunst des Theaters eine Kunst der Intimität, der Preisgabe und Öffnung ist, die Verführungen und Gefährdungen quasi branchenbedingt seien, lässt sich kaum entkräften. Ja, Kunst muss riskanter sein dürfen als Betriebswirtschaft. Das Risiko allerdings nimmt zu in Betrieben, die so feudal hierarchisch ausgerichtet sind wie deutsche Stadt- und Staatstheater, die zu 78 Prozent von Männern geführt werden und deren Inszenierungen zu 70 Prozent von Männern stammen (aus der von Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Auftrag gegebenen Studie «Frauen in Kultur und Medien», www.kulturrat.de). Es sind vor allem Männer, die entscheiden, welche der im Schnitt um 30 Prozent schlechter als ihre Kollegen bezahlten Frauen eine Chance bekommen, an ihren Häusern sichtbar zu werden. Und wer es einmal in die Komfortzone des Ensembles geschafft hat, wird sich sehr gründlich überlegen, was klaglos hingenommen werden muss, um gut besetzt zu werden und vielleicht irgendwann ans nächste, größere und wahrscheinlich wieder von einem Mann geleitete Haus zu kommen. Abhängigkeit und Anpassung sind die Kehrseiten des vielbeschworenen Ensembles.

Es muss etwas passieren, um der strukturell bedingten männlichen Dominanz, die den Sexismus begünstigt, die Stirn zu bieten. Zum Beispiel so etwas wie die 50-Prozent-Quote in künstlerischen Führungspositionen, die der frisch gegründete Verein Pro Quote Bühne fordert: 50 Prozent Intendantinnen, 50 Prozent Inszenierungen von Frauen, 50 Prozent Hausregisseurinnen. Für Letzteres müssen die männlichen Bühnengewaltigen freiwillig ihren Ho­rizont erweitern, für ersteres sind Länder und Kommunen in der Pflicht. Sie treffen die Entscheidungen bei Neubesetzungen, für die das Motto in den nächsten Jahren lauten sollte: Ladies first!


Theater heute Februar 2018
Rubrik: Foyer, Seite 1
von Barbara Burckhardt

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