«Jette ist Jette»
In Frank Castorfs «Wallenstein»-Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden – wir haben bereits das «Lager» verlassen, diversen Soldaten und Marketenderinnen gelauscht und steuern in etwa auf Minute 120 des Siebenstünders zu – erscheint Henriette Hölzel dramatisch stöhnend auf einer Hochebene in Aleksandar Denics Bühnenbild.
Mit ausgestellter Geste wischt sie sich über die Stirn, fasst sich ausgesucht theatralisch an den Bauch, schreitet – ihrer augenscheinlich schwierigen Lage zum Trotz – in formvollendeter Stilsicherheit die Treppe herab in ihrem spektakulären schwarzen Abendkleid und lässt sich dabei, effektvoll dosiert, immer mal wieder in die Arme einer der Kolleginnen sacken. Deren Unterstützung hält sie freilich – klarer Fall von weiblicher (Gebär-)Konkurrenz – keine Sekunde davon ab, gleichzeitig messerscharf giftige bis zufrieden-triumphale Blicke in ihre Richtung zu werfen.
Drei Minuten vergehen: Die Wehenintensität steigt. Vier: Hölzel stöhnt. Fünf: Sie krampft. Zehn Minuten sind vorbei, fünfzehn, zwanzig … – und Hölzel: schreit. Und giftet. Und stöhnt lauter. Und klammert – wechselweise an der Türklinke, am Fensterrahmen oder an der Kollegin. Wie sie es trotzdem schafft, ...
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Theater heute Februar 2023
Rubrik: Akteure, Seite 28
von Christine Wahl
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