Hallelujah!
Oper? Schauspiel? Performance? Spektaktel? – Egal! Die Inszenierung des Jahres heißt – «Sancta»! Florentina Holzingers queerfeministische Aneignung einer katholischen Messe im Rahmen von Paul Hindemiths Kurzoper «Sancta Susanna»
– u.a. koproduziert von den Opernhäusern in Schwerin und Stuttgart – feiern 9 Theaterkritiker:innen. Auch wenn das Publikum insbesondere in Stuttgart mit Ohnmachten zu kämpfen hatte, begeisterte das Gesamtkunstwerk über alle Genregrenzen hinaus.
Auf Platz 2 folgt Ulrich Rasches bestechende Neu-Lektüre von Becketts «Warten auf Godot» am Schauspielhaus Bochum mit 3 Nennungen.
Von «Sancta» leiten sich weitere Erfolgsmeldungen ab. Nikola Kneževic hat mit Kletterwand, Halfpipe, Neonkruzifix, Roboter und Weihrauchfass das Bühnenbild des Jahres entworfen (5 Stimmen); dicht gefolgt von Monika Pormale (4 Voten), die in die drei Generationen übergreifenden Innenräume für Kornel Mundruczos «Parallax» einen spektakulären Überflutungsmechanismus eingebaut hat. 6 Kritiker:innen kürten zudem die achtköpfige Team-Dramaturgie von «Sancta» – Felix Ritter, Fernando Belfiore, Judith Lebiez, Michele Rizzo, Miron Hakenbeck, Philipp Amelungsen, Renée Copraij, Sara Ostertag – zur «Dramaturgie des Jahres»; mit 3 Stimmen folgen Johanna Höhmann, Theresa Schlesinger und der im Mai gestorbene Carl Hegemann für die Dramaturgie bei Jette Steckels «Mephisto»-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen. Die Schauspielerin des Jahres heißt Julia Riedler. Als Arthur Schnitzlers sexualisierter Gewalt ausgesetztes Fräulein Else knüpft sie in Co-Regie mit Leonie Böhm am Wiener Volkstheater auf der Suche nach moralischer Unterstützung kunstvolle Verbindungen ins Publikum: 7 Kritiker:innen schenkten ihr dafür ihre Stimmen. Jeweils 3 Voten erhielten die Zweitplatzierten Artemis Chalkidou als Mia Pinneberg in Frank Castorfs Fallada-Inszenierung «Kleiner Mann, was nun?» am Berliner Ensemble – und Stefanie Reinsperger für drei verschiedene Rollen ebendort und am Burgtheater.
Geteilte Ehren bei den Schauspielern des Jahres. Mit je 3 Stimmen gehen Thomas Schmauser (als Hendrik Höfgen in «Mephisto»), Andreas Döhler (als Jachmann in «Kleiner Mann – was nun?») und Moritz Kienemann als Kriegsveteran Hinkemann in Ernst Tollers gleichnamigem Drama am Deutschen Theater Berlin gleichauf ins Ziel.
Das Video des Jahres hat mit 7 Voten das Duo DARUM für ihre VR-Performance «[EOL]. End of Life» am Wiener brut programmiert (weitere 3 Stimmen versammeln Victoria Halper und Kai Krösche in den Kategorien Bühne und Dramaturgie). Auch die farbenfrohen Knetwurst-Animationen von Mehmet&Kazim für Emre Akals Fassbinder-Adaption «Katzelmacher» an den Münchner Kammerspielen wurden mit 4 Voten belohnt. Gleichstand wiederum mit je 3 Stimmen bei den Kostümen des Jahres von Lara Roßwag («Katzelmacher», «Animal Farm») und Teresa Vergho («Double Serpent», «Die Abweichlerin»).
Die Zahl 3 dominiert auch in der Nachwuchskategorie: Kurdwin Ayub («Weiße Witwe») und Arad Dabiri («DRUCK!») sind mit je 3 Stimmen Nachwuchsautor:innen. Kurdwin Ayub, Leonie Rebentisch («Gittersee») und Anna Stiepani («Staubfrau») mit je 3 Stimmen Nachwuchsregisseur:innen; der bereits erwähnte Moritz Kienemann und Timur Frey («Double Serpent») mit je 3 Stimmen außerdem Nachwuchsschauspieler des Jahres.
Mit klaren 8 Nennungen ist Dea Lohers Einsamkeitsreigen «Frau Yamamoto ist noch da» das Stück des Jahres, uraufgeführt am Schauspielhaus Zürich; ebenso wie das zweitplatzierte Drama «Staubfrau» von Maria Milisavljevics mit 3 Stimmen.
Überraschung: Zum Theater des Jahres ist mit 6 Nennungen das Theater Magdeburg gewählt; mit Jan Friedrichs «Blutbuch»-Inszenierung auch zum ersten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Die Berliner Volksbühne und das neu gestartete Staatstheater Wiesbaden teilen sich mit je 4 Voten den zweiten Platz.
Herzlichen Glückwunsch allen Sieger:innen!
Nichts jedoch war so überwältigend eindeutig wie das Ärgernis dieses Jahres, die fatale Spar- und Kulturpolitik in Berlin (20 Stimmen) und anderswo (7 Stimmen). Wobei fast schon überrascht, dass Ex-Kultur -senator Joe Chialo namentlich nur noch vier Kritiker:innen auf die Palme bringt. Die Kürzungen indessen haben überlebt.
Theater heute Jahrbuch 2025
Rubrik: Umfrage, Seite 118
von
1 Stück
2 Inszenierung, Performance/Dramaturgie
3 Bühnenbild, Video, Kostüme
4 Schauspielerin
5 Schauspieler
6 Gesamtleistung eines Theaters
7 Beste:r Nachwuchskünstler:in
8 Ärgerlichste Erfahrung des Jahres
Margarete Affenzeller
«Der Standard», Wien
1 Eve Leigh «Verbranntes Land (Salty Irina)»
2 Regie/Choreografie: Florentina Holzinger und Dramaturgie: Felix Ritter, Fernando Belfiore,...
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Wie die gute Laune behalten innerhalb einer multiplen Krise? Vielleicht gar nicht. Der Aktivist und Künstler Christophe Meierhans meinte schon 2022, man müsse erstmal richtig im Tal unten ankommen und die Lage akzeptieren, um wieder starten zu können. In der Floating University hatte er damals in Anlehnung an Techniken der Stoiker eine Meditation entwickelt, bei der das Publikum...
