Ein Diener des zivilen Zusammenlebens

Als Intendant des Theaters Rudolstadt kämpft der Schriftsteller und Theatermacher Steffen Mensching gegen Abschottung und Kleingeist. Bernd Noack hat mit ihm über die Vor- und Nachteile einer Gesellschaft gesprochen, in der die Wege kurz sind und jeder jeden kennt.

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Seit genau zehn Jahren macht Steffen Mensching Theaterarbeit im ostdeutschen Hinterland. Als Intendant der Bühne in Rudolstadt hat er in der Zeit das Vertrauen seines Publikums gewonnen, hat gegen die Rechten in der Stadt gekämpft – und obendrein seinen vierten Roman geschrieben, das 800 Seiten starke Opus «Schermanns Augen». Wer mit Mensching spricht, wird hören, wo er herkommt. Nämlich aus Ost-Berlin, wo der studierte Kultur­wissenschaftler im Duo Mensching & Wenzel schon in den 80er Jahren Kabarett machte und Teil der DDR-Opposition war.

 

Bernd Noack Wie kommt es eigentlich, dass man aus dem brodelnden Berlin ausgerechnet ins etwas verschlafene Rudolstadt geht?

Steffen Mensching Ich bin damals gerade 50 geworden, und man hat ja, wenn man Theater macht – und das, was wir früher gemacht haben, war ja in unserem Verständnis eine Theaterform: Hans-Eckardt Wenzel und ich, dieses Clowns- und Projekttheater – trotzdem das Bedürfnis, seine Theaterkonzeption auszupro­bieren in einer Institution, einem festen Haus. Die Chance kriegte ich hier. Aber hat man für solch einen konkreten Ort in einer konkreten Zeit mit bestimmten Leuten, die man mitbringt und heranzieht, auch die Idee, etwas ...

Warner vor dem Untergang

Steffen Mensching setzt in «Schermanns Augen» dem Grafologen Rafael Scherman ein Denkmal 

Zwölf Jahre hat Steffen Mensching an diesem Monstrum gearbeitet. Den 800-Seiten-Roman «Schermanns Augen» kennzeichnet denn auch die akribische Recherche in einer verschütteten Zeit und das Vermögen, diesen Berg von Details, die Verflechtungen und scharf gezeichneten Charaktere in einer literarischen Form zusammenzubringen, die mit dem Beharren auf erzählerischer Geduld wunderbar altmodisch ist. Mensching will auch nicht nebenbei konsumiert werden: Mit ihm taucht der Leser ein in eine hermetische Welt, in der tiefe Humanität und kalkulierte Menschenverachtung aufeinanderprallen und deren gruselige, nervenzehrende Atmosphäre sehr lange nachwirkt.

Rafael Schermann (1874 geboren in Krakau, 1943 gestorben in einem sowjetischen Lager) war Grafologe, Hellseher und als solcher bewundert und beargwöhnt von vielen, bekannt wie ein bunter Hund in der Vorkriegs- und Kriegszeit in Wien und Paris, Berlin und Warschau bei schillernden Persönlichkeiten wie Karl Kraus oder Alfred Döblin, Sergei Eisenstein oder Konstantin Stanislawski, Piscator, Kokoschka, Lasker-Schüler. Ein ...

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Theater heute Oktober 2018
Rubrik: Gegen Rechts, Seite 52
von Bernd Noack

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