Das Verbluten der Revolution
Ein feister Hedonist und ein räudiger Asket – nur selten gewinnen gesellschaftspolitische Positionen eine solch fleischliche Plastizität wie in diesem Stück, das in einer Irrenanstalt spielt und von der Französischen Revolution bereits in der Vergangenheitsform spricht, obwohl ihre Helden darin noch selbst um das eigene Erbe streiten.
Als Peter Weiss Anfang der 1960er Jahre an seinem Drama um die beiden Denk-Figuren – Marquis de Sade als defätistischer Individualist und Jean Paul Marat als kämpferischer Pionier des Sozialismus – feilte, wurden die künftigen ’68er gerade erwachsen, und womöglich lag damals bereits so etwas wie die Vorahnung einer revolutionären Situation in der Luft. Fragen nach deren Aporien wie «Frisst die Revolution ihre Ziele?» oder «Kann ein gewaltsamer Umsturz Erfolge haben, die seine Opfer übersteigen?» erschienen da nicht weithergeholt. Und die entscheidenden Fragen seit den Tagen der Terreur blieben auch hier offen wie das Messer der Guillotine im Raum stehen: Kann die einmal entfesselte Gewalt je anders als willkürlich oder durch pure Erschöpfung wieder gestoppt werden, und hat die staatliche Kontrolle bis dahin nicht jede individuelle Regung in stumpfer ...
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Theater heute November 2018
Rubrik: Aufführungen, Seite 19
von Silvia Stammen
Ein Herrenanzug auf einem Tisch. Sechs Männer und eine Frau, allesamt stummfilmhaft geschminkt und in weißer Feinripp-Unterwäsche, zupfen an ihm herum, bringen ihn allmählich zum Tanzen. Dann stülpen sie den Anzug einem von sich über, dem staunenden jungen Mann mit der Stirnlocke. Und im Handumdrehen ist er zum Protagonisten in Kafkas Erzählung «Das Urteil»...
Von diesem Schatten geht nichts Gutes aus. Mondbleich starren die Schlosswächter aus ihrem Ausguckkasten heraus auf das Phantom, das über die nachtschwarze Zürcher Pfauenbühne schleicht. Polonius (Gottfried Breitfuß) steht dabei, Horatio auch (Edmund Telgenkämper), keinem will sich die Erscheinung erklären. Es ist der Geist der Endzeit, der hier umgeht. Das...
Er war der alte Meister der Grantigkeiten, des Weltekels, der Österreich-Beschimpfung: Thomas Bernhard. Thom Luz ist der menschenfreundliche Poet der musikalischen Melancholie, des Schwebens, Zirpens, Abhebens. Das deutsche Theater hat beide zusammengebracht, im von Thom Luz und Wolfgang Menardi hingehauchten Borbonen-Saal des Wiener Kunsthistorischen Museums,...