Berlin: Im irdisch’ Jammerspital

Molière «Der eingebildete Kranke»

Einmal wird es an diesem Abend richtig komisch: Da schiebt sich Kay Bartholomäus Schulze als Bruder des eingebildeten Kranken in den klinikweiß gekachelten Bilderrahmen, den Bühnenbildner Olaf Altmann zentral über den Schaubühnenbrettern schweben lässt. Ein Embryo von einem Mann ist das, glatzköpfig, gesichtslos, ein Arm unter der mumienhaften Ganzkörperver­klebung versteckt – die groteske Zurschaustellung dessen, was dem eingebildeten Kranken droht, sollte er sich auf jene Radikalkur einlassen, die ihm sein Hausmädchen Toinette in ärztlicher Verkleidung empfiehlt.

Wie viele Nächte muss Regisseur Michael Thalheimer Survival-Horrorgames à la «Resident Evil» gespielt haben für so eine herrliche Zombie-Schreckschrulligkeit?
Bei Molière ist dieser Bruder des begüterten Herrn Argan die Stimme der Vernunft, mit deren Hilfe der irr(ig)e Held von seiner aggressiven Hypochondrie geheilt wird – oder zumindest davon abgehalten wird, seine Tochter an den Sohn des erstbesten Quacksalbers zu verheiraten. Dass Thalheimer die Verhältnisse auf den bandagierten Kopf stellt und den Bruder nunmehr zum sinistren Schreckgespenst umdeutet, hat durchaus Methode. «Ist das erbärmlich, ich will nicht ...

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Theater heute März 2017
Rubrik: Chronik, Seite 53
von Christian Rakow

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