Auftauen und Einfrieren

Das Schauspiel Leipzig sehnt sich mit Armin Petras und Lutz Seilers «Kruso» nach utopischen Gegenwelten und fürchtet mit Till Müller-Klug um die Zukunft: «Der Minusmensch»

Der Keim der wahren Freiheit gedeiht in Unfreiheit», lautet eine von Alexander «Kruso» Krusewitschs dialektischen Überzeugungen. Ja, es muss im Spitzelstaat DDR aufregend anarchische Spielräume gegeben haben, kaum nachvollziehbar aus heutiger Perspektive und schon gar für einstige Kinder der BRD allenfalls diffus erahnbar.

Immer noch und immer wieder werden diese Nischen auch literarisch gefeiert, zuletzt etwa in Lutz Seilers vor zwei Jahren buchpreisgekröntem Roman «Kruso», der die noch immer realexistierende Betriebsgaststätte «Zum Klausner» auf der Ostseeinsel Hiddensee als fantastisches Aussteigerreich schilderte, als skurrile Mischung aus Hippie-Kommune, Sträflings­kolonie und Piratennest mit eigenen Ritualen, Festen und der Überzeugung, dass «die Freiheit des Herzens» eines Tages «die Unfreiheit der Verhältnisse übersteigen wird».

Emigration auf den Dornbusch

Auf rund 500 Seiten beschreibt der 1963 in Gera geborene Lutz Seiler in feinen, manchmal minutiösen Introspektionen die nur wenige Monate bis zum Mauerfall währende Hiddensee-Erfahrung des Germanistikstudenten Ed, den der Unfalltod seiner Freundin G. aus der Bahn geworfen und an die äußerste Grenze der DDR getrieben ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Dezember 2016
Rubrik: Aufführungen, Seite 10
von Eva Behrendt

Weitere Beiträge
Berlin: Standleitung ans Götterohr

Die berühmte Eingangswendung des Dramas ist ausgespart: «Das Land der Griechen mit der Seele suchend», sowas kommt dieser Iphigenie nicht mehr in den Sinn. Auf hohem Podest steht sie, die verschollene Tochter des Troja-Fahrers Agamem­non, die als Priesterin auf Tauris Unterschlupf gefunden und dem eingeborenen Volk das Menschenopfer abgewöhnt hat. 

Heimkehr,...

St. Pölten: Grillparzer fast forward

Das goldene Vlies aus der Argonautensage ist so etwas wie der «McGuffin» bei Hitchcock: ein sagenumwobenes Ding, um das sich alles dreht, obwohl es selbst eigentlich nichts zur Sache tut. In seiner Trilogie «Das goldene Vlies» (1821) liefert der österreichische Klassiker Franz Grillparzer zur Medea-Tragödie noch die Vorgeschichte dazu. Im ersten Teil, dem...

Festival: Lächeln überm Abgrund

Ein Theater zur Demokratie ist ein Theater der Biografien in ihren politischen Kontexten», schrieb Chefdramaturg Ludwig Haugk dem Festival «Uniting Backgrounds» ins Programmheft – und wahrscheinlich bildet kein anderer Satz so passgenau auch die Program­matik des ganzen Theaterprojekts Maxim Gorki seit dem Beginn der Intendanz Shermin Langhoff/Jens Hillje ab.

...