Alleinstellungsmerkmal Wagnisfreude
Fucking Volkstheater.» Das Erinnerungsbuch zur fünfjährigen Direktionszeit von Kay Voges könnte keinen passenderen Titel tragen. Und dann ist das «Fucking» auch noch in dieser altdeutschen Schrift der satirischen Videos und Plakate, mit denen das Volkstheater im Zuge von Wahlkämpfen Haltung gegen Rechts zu zeigen versuchte. Dabei Geschmacksgrenzen bewusst überschreitend, brachte es diejenigen, denen es eh schon zu progressiv war, noch mehr gegen sich auf. «Fucking Volkstheater!», zischten sie.
«Fucking Volkstheater!», jubelten die anderen und nickten emphatisch im Sinne eines: «Oooh yeah!»
Dass viele Kay Voges nicht mögen würden, war abzusehen. Dass er so viele andere doch für sich und sein Theater würde gewinnen können, weniger. Als die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler den damaligen Chef des Schauspiel Dortmund im Juni 2019 als Nachfolger der eher glücklosen Anna Badora präsentierte, die sie zuvor höflich aus dem Amt geekelt hatte, regierte Skepsis. Voges stammelte etwas von Bier- statt Sektausschank als Markenzeichen eines Volkstheaters und lieferte den erwarteten Versprecher: Er sagte «Volksbühne».
In Wien hatte man von ihm als Guru des Digitaltheaters gehört (wobei ...
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Theater heute August-September 2025
Rubrik: Bilanzen, Seite 53
von Martin Thomas Pesl
Bettina Schmidt geht es gut, nur ein wenig müde sei sie, als wir uns an diesem wolkenverhangenen Tag im Clara-Zetkin-Park treffen. Kaum zu glauben, denn Schmidts hellblaue Augen scheinen hinter der großen, runden Brille wacher denn je. Ihre kurzen, blonden Locken lassen sie sanfter wirken als das sonst auch mal glatt ge -striegelte Haar auf der Bühne des Schauspiel...
«Wahrheit!», knallt es zu Techno-Beats in den Zuschauerraum zwischen all den Interviewfetzen, die hier in einer Art Live-Videoclip auf dem schneckenförmigen Bühnenpodest in die Kamera gehämmert werden. Die großformatigen Köpfe auf dem Gazevorhang ballern erstmal alle wach. Die kurzen prägnanten Sätze sind herausgepickt aus 50 Interviews, die ein Team um Regisseurin...
Du musst deine Arbeit lieben», hat der Bühnenbildner Tobias Wartenberg mal zu mir gesagt. Bevor ich ans Theater kam, hatte er, damals Ausstattungsleiter an der Neuen Bühne Senftenberg zur Zeit der Intendanz Sewan Latchinians, für mich eine Tabelle angelegt: links die Vor-, rechts die Nachteile des neuen Jobs als Dramaturg. Die rechte Spalte – dreimal so lang wie...