Wahrgewordene Befürchtungen
Ganz am Ende dann gibt sich die Autorin zu erkennen, und in einem langen Monolog spricht sie von der Normalität, die sie sich wünscht in diesen Zeiten des Krieges, der Unordnung. Es sind ganz banale Dinge, die ihr einfallen: Einen neuen Vorhang will sie für die Wohnung kaufen, Stangen, an denen sie ihn anbringen kann. In die Stadt will sie fahren, shoppen, wieder heim kommen, es gemütlich, ihre Ruhe haben.
Aber der Zuschauer kann längst nicht mehr daran glauben, dass dieser Wunsch noch jemals in Erfüllung gehen könnte. Die Stunde zuvor ist er im Bamberger E.T.A.
-Hoffmann-Theater hineingerissen worden in den Strudel der Gewalt, in die Sackgassen der Ausweglosigkeit, in die Sprache der Täter und die Schreie der Opfer. Er hat sich durch diese «Zerstörten Straßen» bewegt, die dem fragmentarischen Theaterstück von Natalia Vorozhbyt den Namen gaben und die ein Sinnbild sind für den Zustand eines Landes, das an seinen Rändern brennt, dessen Landstriche verwüstet und Orte unbewohnbar sind. «Zerstörte Straßen» ist eine der ersten dramatischen Auseinandersetzungen mit den Geschehnissen in der Ukraine; die Bamberger haben es in der Regie von Wojtek Klemm in einer erschreckend nüchternen, ...
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Theater heute 1 2023
Rubrik: Chronik, Seite 56
von Bernd Noack
Die Zeit scheint einen Augenblick stillzustehen im rasanten Lauf der Ereignisse: wenn Sylvana Krappatsch als Annette aus ihrem Schatten heraustritt, ihm sachte zuwinkt, dann mit kleinen, aber kräftigen Flatterbewegungen abzuheben, ja, einen winzigen Moment über dem Boden zu schweben scheint, als ziehe sie eine unsichtbare Hand am Schlafittchen nach oben – um sie...
Racines «Phaedra» spielt man am liebsten auf Eis (wie Martin Kušej 2017 in München) oder zumindest auf weißem Sand (Johannes Schütz in Köln 2011): kunstvoll kristallisierte frostige Sprache gegen heiße Gefühle. Aber Ersan Mondtag erhitzt die Tragödie, bis sie in Sprechblasen zerplatzt. Aus zu viel Ernst wird zu viel Spaß.
Ersan Mondtags Bühne ist eine vergrößerte,...
Der Samowar ist mittlerweile als Requisit ein No-Go in Tschechow-Aufführungen, weil zu sehr Russlandklischee. In Daniel Kunzes «Drei Schwestern» am Theater Lüneburg taucht der Teekocher allerdings noch einmal auf, Militärarzt Tschebutykin (Matthias Herrmann) überreicht ihn als Geburtstagsgeschenk für Irina (Berna Celebi). Das Geschenk kommt nicht gut an, alle sind...