Vor dem Gericht
Ein Mann, später noch ein zweiter sowie eine Frau – in einer Verhörsituation. Die immer wieder von Jump Cuts kurz gestörten Bilder sind schwarzweiß (so wie der Film insgesamt), die Delinquenten uns gerade zugewandt. Sie haben geschorene Köpfe, tragen stilisierte graue Jacken, sprechen frontal in die Kamera, jeweils im exakt gleichen Ausschnitt, wie auf einer sachlichen Fotografie von Bernd und Hilla Becher, wenn das Paar auch Menschen in Serie porträtiert hätte.
Die drei erzählen aus ihrem Leben in einer Extrem-Situation: der Nazi-Zeit, der europäischen Katastrophe, der Shoah. Jules (Philippe Duquesne), gepflegter Familienvater und vermutlich ein ehrenwerter Mann, arbeitet als Polizeibeamter im besetzten Frankreich Hand in Hand mit der Gestapo und hat in seinen Zellen einige neue Gefangene, die verhaftet wurden, als die in der Résistance Aktiven jüdische Kinder versteckten. Darunter die adlige Exilrussin Olga, die Jules bereit wäre, laufen zu lassen, wenn sie ihm ein Rendezvous gewährte. Dazu kommt es nicht: Jules wird vor den Augen seines Sohnes von Widerständlern erschossen.
Auch Olga (Julia Vysotskaya) gibt ihre Geschichte zu Protokoll. Sie wurde deportiert ins KZ, verbunden ...
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Theater heute Juli 2017
Rubrik: Magazin, Seite 70
von Andreas Wilink
Ein Afrikanerjunge liegt reglos auf weißem Grund. Was fehlt ihm nur? Unwillkürlich springt die Assoziationsmaschine im Zuschauerhirn an. Da liegt ein Flüchtlingskind, ertrunken am Strand, verdurstet in der Sahara, erschlagen am Straßenrand. Armer kleiner Kerl.
Ein beleibter Weißer setzt sich an den Rand der Szene, knackt eine Schokoladentafel, vertilgt sie wie...
Zehn Jahre lang hat David Lynch, nun ja, nicht geschwiegen. Er hat Musik gemacht, das Wetter angesagt, für die eher üble Sekte «Transzendentale Meditation» missioniert, er hat Musik-Videos unter anderem für Moby und Nine Inch Nails gedreht, aber einen Spielfilm von ihm gab es seit dem radikal kryptischen «Inland Empire» nicht mehr. Dann kamen die ersten Gerüchte...
Am Anfang ist das Wort, das Wort hat große Buchstaben, und es heißt: AFFEKT. Gefühlte fünf Minuten lang rauschen Spinoza, Deleuze et altera in Druckbuchstaben übers weiße Feld und klären auf, was unter Affekt zu verstehen sei: das Unkontrollierbare, das den Körper unmittelbar ergreift, Furcht, Ekel, Liebe, Eifersucht ... Man darf diese akademische Einführung in...