Traumatisierte Gesellschaften
Irgendetwas stimmt mit dieser Familie nicht. Aber dieses Etwas ist lange nicht greifbar, fast unheimlich. Natürlich gibt es konkrete Konflikte: Vater Dilo ist seit Langem arbeitslos, auch seine gesundheitlichen Probleme sind gravierend. Seine weitaus älter wirkende, von ihrer Fabrikarbeit als Näherin gezeichnete Ehefrau Sara muss den Lebensunterhalt und das Studium der gemeinsamen Tochter Lola allein finanzieren. Fast gespenstisch bewegen sich die fahl ausgeleuchteten Figuren im Erker des Ethnologischen Museums in Pristina vor den großen Fensterscheiben, hinter denen es Nacht ist.
«Sprich mit deinem Vater!», schreit Sara irgendwann ihre Tochter an, die jeden Blickkontakt mit Dilo meidet.
Der kosovarische Dramatiker Jeton Neziraj hat mit «Vater und Vater» ein scheinbar gewöhnliches Familiendrama geschrieben, in dessen Verlauf sich allerdings langsam erschließt, dass Dilo keine reale Person, sondern einer von 1600 Menschen ist, die seit dem Kosovo-Krieg 1998/99 vermisst werden. Gespenster der Vergangenheit, die noch immer das Leben ihrer Angehörigen bestimmen wie die Kriegs-Traumata und der verstetigte Konflikt mit Serbien das ganze Land. Im Publikum sitzen Menschen, die weinen. ...
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Theater heute Februar 2023
Rubrik: International, Seite 34
von Anja Quickert
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