Schleuser Godot

Beckett «Warten auf Godot» (Theater der Altmark) Stendal

Theater heute - Logo

Große Kunstwerke, meint der amerikanische Literaturwissenschafter Stephen Greenblatt, sind große Speicher «sozialer Energie». Mögen sie auch nach dem Ewigmenschlichen lugen und weitestmöglich die Spuren des Stofflichen an sich tilgen, so entstamme ihre tiefere Kraft doch den kollektiven historischen Erfahrungen, die man durch sie hindurch ersehen könne.
 

Wie ein Lehrbeispiel zu diesem Satz mutet die Beckett-Re-Lektüre an, mit der der französische Gymnasiallehrer Valentin Temkine vor gut einem Jahr auftrat.

«Warten auf Godot», so Temkines verblüffende Botschaft, spiele keineswegs im Nirwana des Absurden und der existenzialistischen Philosophie, sondern ganz konkret um 1943 im besetzten Frankreich. Die beiden als Juden anzusehenden Protagonisten warteten hier auf einen Schleuser namens Godot, der sie außer Landes schaffen solle. Pozzo begegne ihnen als Opportunist, der anscheinend mit der Besatzung kooperiert. Seine Erblindung im zweiten Akt? Ergebnis einer Attacke durch die Résistance.
 

Akribisch rekonstruiert Temkine die historischen und biographischen Bezüge, die «Warten auf Godot» als Zeugnis der Judenverfolgung lesen lassen. Beckett selbst hatte diese Bezüge bis zur Uraufführung ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Februar 2010
Rubrik: Chronik, Seite 52
von Christian Rakow

Vergriffen
Weitere Beiträge
Aufführungen

Das Leben ist bekanntlich ein langer, ruhiger Fluss – es sei denn, es kommt eine Revolution dazwischen. Genau das plant die mit allen Ironiewassern gewaschene britisch-deutschen Performance-Formation Gob Squad mit «Revolution Now!» an keinem geringeren Ort als der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, heroisch erstmals auf großer Bühne, auf der es für die erwarteten...

«Noch ein Weinchen, noch ein Zigarettchen»

Einen «Versuch, an bahnbrechendem Theater zu scheitern. Mit Pina Arcade Smith» nennt der Tänzer Antony Rizzi seine eben im Frankfurter Mousonturm uraufgeführte Performance. Rizzi hat beinahe zwanzig Jahre mit William Forsythe gearbeitet und als Ballettmeister wiederholt in Wuppertal gastiert. Der Italiener aus Boston schreibt seit einigen Jahren seine eigenen...

Das Stück, der Markt, der Tod und das Kaufhaus

Ein Konjunkturzyklus funktioniert im Kleinen so: Jemand erfindet ein Produkt, das alle Leute gerne haben wollen, sagen wir einen mp3-player oder das Auto. So langsam entsteht Nachfrage nach der noch seltenen Ware, und die Preise sind hoch. Das bemerken aufmerksame Hersteller, die auf den Zug aufspringen wollen und Fabriken aus dem Boden stampfen. Irgendwann gibt es...