Im Wirtschafts­wunderland

Lutz Hübner/Sarah Nemitz «Phantom (Ein Spiel)» im Schauspielhaus Mannheim, Christoph Nussbaumeder «Das Fleischwerk» in den Kammerspielen Bochum

Theater heute - Logo

Man kann Flüchtlingsgeschichten auch so erzählen. Nachdem ein Neugeborenes in einem Schnellrestaurant gefunden wurde, mutmaßen die Angestellten, wie das Baby dahin gekommen sein könnte. Wurde es von einer der Frauen zurückgelassen, die derzeit so massenhaft aus dem Osten nach Deutschland einwandern? Von einer Romni etwa? Wohl eher nicht. Die lieben ihre Kinder ja und kaufen lieber Babies dazu, als dass sie eines aussetzen würden! Es ist wie immer: Je kümmerlicher die Faktenlage, desto üppiger die Klischees.

Und wurde nicht auch tatsächlich eine Romni im Schnellrestaurant gesehen? Blanca, so ihr Name, könnte die Mutter des Findlings sein. Je mehr wir aber von ihr erfahren, desto offensichtlicher ist: Sie hat das Baby nicht ausgesetzt.

Da ist eine unterwegs, die von ihrer bulgarischen Familie als Vorhut ins westliche Wirtschaftswunderland geschickt wurde und sich dort nun einen Platz erkämpfen will. Auf ihrer Tour durch Deutschland lernt sie einen geldgierigen Zimmervermieter kennen, eine Prostituierte weiß, wie sich leichter Geld verdienen ließe, und schließlich zieht Blanca auch noch bei einer hochschwan­geren Jammerdeutschen ein, die noch nie was zum Bruttoinlandsprodukt ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute November 2015
Rubrik: Chronik, Seite 54
von Jürgen Berger

Weitere Beiträge
Der Cliffhanger

In Hamburg scheint an diesem späten Freitagnachmittag die Sonne. Vor dem Hauptbahnhof steht ein langgestrecktes weißes Zelt, davor ein Schild: «Wir nehmen KEINE Kleiderspenden entgegen.» Fröhliche junge Frauen in gelben Helferwesten machen Quatsch mit fröhlichen kleinen Kindern von dunkler Hautfarbe. Junge Männer tigern rauchend auf und ab. Von der Bank auf dem...

Zum Verrücktwerden

Bingo. Einer hat immer Glück. Zumindest im Spiel. Dafür scheitern sie in der Liebe hier eigentlich alle. Schließlich sind wir bei Tschechow und der Unmöglichkeit des Lebensglücks. Semjon liebt Mascha. Mascha liebt Kostja. Kostja liebt Nina. Nina liebt Trigorin. Der liebt ein bisschen ihre Jugend und auch ein bisschen die Arkadina, vor allem aber sich selbst. Es ist...

Erinnerungstaumel

«Warum war die Großmutter denn nicht an den Gleisen bei uns da in der Bahnhofshalle, Mama?» Beharrlich bohren die vier einst mit ihren Eltern aus der DDR geflüchteten Mädchen bei ihrer Mutter nach. Doch an die Gründe für die großmütterliche Abwesenheit am Tage ihrer Abreise will oder kann sich ihre Mutter nicht erinnern. Mit dem vielstimmigen, persönlichen...