Hundert Prozent Perspektivwechsel
Dass dem erotischen Kapital eine Schlüsselrolle bei der Erwirtschaftung sozialer (und ökonomischer) Rendite zukommt, ist spätestens seit Michel Houellebecq im breiten öffentlichen Bewusstsein angekommen. Während allerdings dessen humane «Elementarteilchen» anno 1998 an ihren marktwertmindernden Altersfalten und -speckröllchen noch in weitgehend analoger Alternativlosigkeit verzweifelten, stehen dem digitalen Zeitgenossen bekanntlich Optimierungsinstrumente zur Verfügung.
Im Online-Flirt kann er – weshalb das Sujet auch für das genuine Fake-Medium Theater zusehends interessant zu werden scheint – vorgaukeln, glätten und veredeln, was das Bildbearbeitungsprogramm hergibt, und so, gepaart mit einer cleveren Begehrensaufschubsteuerung, die Objektlust beim Bildschirm-Gegenüber gezielt maximieren.
Doch was auf den ersten Blick nach einer heutigen Win-Win-Situation aussieht, offenbart auf den zweiten natürlich zutiefst reaktionäre Defizite: Je gelungener das digitale Pimp-up, desto bodenloser der finale analoge Fall – wovon der britische Performer Kim Noble bei «Theater der Welt» in Mannheim das mit Abstand abgrundtiefste Lied zu singen weiß.
Plastische Chirurgie
Mal im roten Kleid, mal im ...
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Theater heute August-September 2014
Rubrik: Festivals/Aufführungen, Seite 6
von Christine Wahl
Anfangsstation: Bahnhof, Ort der Unruhe, des Aufbruchs und Durchgangs. Im Bochumer Schauspielhaus bleibt auf weitgehend leerer Bühnenfläche, über die Raimund Bauer nichts als eine Lichtbrücken-Installation hängt, die Drehscheibe der konkrete und metaphorische Ort des Karl Siebrecht. Der 16-Jährige kommt, mutterseelenallein, aus der Uckermark ins Berlin der späten...
Es verspricht kein besonders lustiger Abend zu werden. Bereits im Durchgang zur Hinterbühne werden die durch Fackeln illuminierten Besucher mit Geschrei und Gewimmer aus Lautsprechern begrüßt. Am Wegesrand backen Frauen Teigfladen, und das Ensemble wird mit Grabsteinen vorgestellt, zwischen denen aber auch die Namen toter Frauen von sozialen Protesten weltweit zu...
Sie tanzt. Gefühlt hundert Mal wird das Bild von Daniela Keckeis auf die Leinwände oberhalb der Bühne projiziert, auf der die Schauspielerin eine 1930er Cabaret-Nummer in ebensolchem Kostüm hinlegt und schließlich ihren Körper in schönster Wuttke-Manier zum Hakenkreuz formt. Unten singt sie dazu als Marianne Hoppe in einem von Silke Bauer installierten Kasten einen...
