Ein klassisches Stück
Das Kameraauge der Autorin fährt im Inneren einer Küche entlang und bleibt am auf dem Tisch liegenden Käsebrot hängen. Ein in Zellophan eingepacktes Käsebrot. Dessen Käse sich wellt und schwitzt. Dem die Butter aus den Löchern quillt. Dessen Farbe auch eine Haarfarbe sein könnte. So schreibt sie, so beobachtet sie, so sind ihre Welten. Im Detail entdeckt Anja Hilling die Tragik ganzer Biografien; die übergroße Nahaufnahme erzählt vom Unglück eines kompletten Menschenlebens.
Der Schweißtropfen, der sich von Frau Schlüters Stirn eine Bahn durch die Puderschicht frisst, das energetische Hausmeisterknie, dessen Anblick schon fast zu viel für die dahindämmernde Schlüter ist – «Verdammt steiler Tagesausflug, so’n Hausmeisterknie!» –, anderthalb Stunden nach den vielen Schlaftabletten verengt sich der Blick zum Tunnel. Doch nicht nur der pharmakologische Zustand Frau Schlüters nach ihrer Verzweiflungstat lässt die Optik überscharf werden, auch die kleinen Dinge in Eugen Zarters Hausmeisterwohnung verraten die Auflösung: der Tesastreifen am Foto von Karin, das von der Wand fällt, der grüne Schal an der Garderobe, Kurts schwarze Haare im Waschbecken, damit ist schon das ganze Universum des ...
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Theater heute Jahrbuch 2005
Rubrik: Neue Stücke der neuen Spielzeit, Seite 148
von Marion Hirte
Soeben hat sich der feine ältere Herr, der aus dem Kaukasus kommt und dessen türkischen Namen sich vorerst niemand merken kann, in Positur gestellt auf der Gartenbank im kleinen grünen Park des Sankt-Gertrauden-Krankenhauses in Berlin. Und auch die anderen nehmen fremde Haltungen an: Der alte Fritz zum Beispiel spielt – na klar! – den «Alten Fritz», und Carmen im...
Mit seinem Essayband «Das letzte Territorium», der 2003 auf Deutsch erschien, wurde Juri Andruchowytsch über Nacht bei uns bekannt. Es galt, ein neues Land – nicht nur auf der literarischen Landkarte – bei uns zu entdecken. Denn was wussten wir schon über die Ukraine, das zweitgrößte europäische Land, das 1991 in die Unabhängigkeit gelangte? Tschernobyl,...
Mein bester Thomas, ich sende dir Grüße. Hier gehen die Dinge ihren gewohnten Gang. Bombenterror herrscht, und das schon bald vier Jahre. Oder noch länger. Kommt darauf an, ab wann man zu zählen beginnt. Wahrscheinlich hat das gar nie aufgehört. Also auch nie angefangen. Keine Ahnung, was ich dagegen tun kann. Und deshalb bleibe ich zu Hause. Wir haben uns nett...