Dunkle Räume

Über das Schreiben ohne Hand am Geländer, die leere Worthülse Identität, ein Leben zwischen Sprachen und der Frage, welcher Stoff zu einem gehört: eine Mainzer Poetik-Vorlesung

Theater heute - Logo

Darkroom 1: Dunkelheit

Ich bin noch nie in einem Darkroom gewesen, dachte ich jedenfalls, bis ich einer Diskussion in einem Berliner Theater zuhörte. Einer der Teilnehmenden auf dem Podium schilderte seine Erfahrungen in queeren Sexräumen, und je mehr er erzählte, desto klarer wurde mir, dass ich die längste Zeit meines Erwachsenenlebens genau dort verbracht hatte.

 

Anfangs, so beschrieb der Mann, spürt man die Anspannung in den Knochen, dieses leise Vibrieren des inneren Basses, etwas schwappt in einem hin und her, als wäre man ein Wassergefäß auf unsicherem Grund. Man wird unkonzentriert, zerstreut in Gesprächen, man schweift ab und erwischt sich bei Fragen, die aus dem Zusammenhang gerissen zu sein scheinen: Wann habe ich das letzte Mal ihre Stimme gehört? Wie war der Geruch hinter ihrem Ohr? Warum frage ich mich das überhaupt?

Noch bevor man weiß, dass man einen dieser Orte aufsuchen wird, ist die Ahnung da; noch bevor man zum Smartphone greift, um eine Adresse ausfindig zu machen. Fast beiläufig trifft man Entscheidungen – man sucht sich einen bestimmten Tag aus, man wählt die Zeit, man weiß, man geht alleine. Schon am Tag davor macht man sich Gedanken über den Dresscode, ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Oktober 2019
Rubrik: Essay, Seite 46
von Sasha Marianna Salzmann

Weitere Beiträge
Zurück in den Ring!

«1938» steht ziemlich unüberlesbar auf der Fassade des Neuköllner Mietshauses, in dem die Theater­autorin Sivan Ben Yishai wohnt. Eine irritierende Datumsangabe: Wie lebt es sich als Jüdin in einem Haus, das im Jahr der Reichs­pogromnacht erbaut wurde? «Seltsam, oder? Ich dachte immer, vielleicht bin ich zu empfindlich», lacht Sivan Ben Yishai, während sie in ihrer...

Neue Stücke · Aufführungen (10/2019)

Aufführungen 

Schwere Stoffe im Oktober: Mit Michel Houellebecqs «Die Möglichkeit einer Insel» blickt Robert Borgmann am Berliner Ensemble ins fünfte Jahrtausend einer verstrahlten Menschheit. Amir Reza Koohestani lässt am Deutschen Theater Heiner Müllers Bogenkrieger Philoktet in den Krieg zurückholen. 

Claudia Bauer widmet sich in der Berliner Volksbühne Heiner...

Wuppertal: Wüstenhölle

Ein grölender Trupp nationalsozialistischer Kader um Hermann Göring bittet in der Hölle um Pe­troleum-Nachschub. Goethes Marthe Schwerdt­lein serviert gebratene Engelsflügel. Mephisto flambiert die Nazis in einem Lavastrom. Ein gewisser Max Reinhardt versucht in Jerusalem, all das vor König Salomon auf die Bühne zu bringen. Und die jüdische Autorin des...