Diversité, disparité, illegalité
Wie alt war Ödipus? Man muss sich die griechischen Mythenfiguren als junge Leute vorstellen. Jedenfalls, wenn man sich mit dem Theater von Wajdi Mouawad auseinandersetzt. Daddys Liebling Elektra, der hyperaktive Ikarus, der Schleimer Odysseus – alles Teens und Twens. In Mouawads Stücken sind es oft sehr junge Protagonisten, Adoleszente oder Postadoleszente, die sich mit den uralten Hypotheken herumzuschlagen haben. Und fast immer wissen sie am Ende des Abends mehr als zu Beginn, und doch nicht weiter.
Um Spurensuchen drehen sich Mouawads Texte, um Narben und von altersher eingeschriebene Verletzungen. Um eine versehrte Gegenwart, in der sich die großen Mythen spiegeln, und im persönlichen Schicksal wiederum das Schicksal einer Gesellschaft. Oft sind es blinde Seher-Figuren, auf die Mouawad dieses Modell anwendet, und gern in einer an Ibsen geschulten analytischen Dramaturgie: unwissende Wissensträger, die wie Ödipus in ihr Schicksal rasen. Es sind Heimsuchungen des Abgelegten, denen sie ausgesetzt sind. Die Toten sind untot wie zum Beispiel die Väter, die ihre Nachkommen einholen, in «Verbrennungen», dem Stück von Mouawad, das in Deutschland am besten bekannt ist und am meisten ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Theater heute Juli 2018
Rubrik: International, Seite 46
von Andreas Klaeui
Der Ast, der im Foyer des Theatermuseums von der Decke hängt, erinnert an die unkonventionelle Todesart, die den ungarisch-österreichischen Schriftsteller Ödön von Horváth am 1. Juni 1938 in Paris ereilte: Er wurde auf den Champs-Élysées von einem herabfallenden Ast erschlagen. Das hat den Ast so berühmt gemacht, dass er sogar in Josef Haders Kabarettprogramm...
Man wünscht sich Kategorien, wenn man über Künstler spricht. Man möchte sagen können: Der macht Musiktheater, performt, macht Aktionskunst. Man möchte sagen können: Der ist ein Mann, die ist eine Frau. Man möchte den Künstler irgendwie fassen. Und der erste große Stein, den einem Tucké Royale in den Weg legt, wenn man versucht, etwas über seine Kunst zu sagen, ist,...
Was für eine Familie. Der Ur-Opa war ein mittlerer Massenmörder der SS und wurde beim Einmarsch der Roten Armee vor den Augen seiner Tochter auf Nimmerwiedersehen verschleppt, das Kind anschließend von einem Russen vergewaltigt. Lieblingssspruch der Mutter: «So etwas passiert in unserer Familie nicht.» Die Traumata aus dem Krieg lassen auch danach keine rechte...