Diversité, disparité, illegalité
Wie alt war Ödipus? Man muss sich die griechischen Mythenfiguren als junge Leute vorstellen. Jedenfalls, wenn man sich mit dem Theater von Wajdi Mouawad auseinandersetzt. Daddys Liebling Elektra, der hyperaktive Ikarus, der Schleimer Odysseus – alles Teens und Twens. In Mouawads Stücken sind es oft sehr junge Protagonisten, Adoleszente oder Postadoleszente, die sich mit den uralten Hypotheken herumzuschlagen haben. Und fast immer wissen sie am Ende des Abends mehr als zu Beginn, und doch nicht weiter.
Um Spurensuchen drehen sich Mouawads Texte, um Narben und von altersher eingeschriebene Verletzungen. Um eine versehrte Gegenwart, in der sich die großen Mythen spiegeln, und im persönlichen Schicksal wiederum das Schicksal einer Gesellschaft. Oft sind es blinde Seher-Figuren, auf die Mouawad dieses Modell anwendet, und gern in einer an Ibsen geschulten analytischen Dramaturgie: unwissende Wissensträger, die wie Ödipus in ihr Schicksal rasen. Es sind Heimsuchungen des Abgelegten, denen sie ausgesetzt sind. Die Toten sind untot wie zum Beispiel die Väter, die ihre Nachkommen einholen, in «Verbrennungen», dem Stück von Mouawad, das in Deutschland am besten bekannt ist und am meisten ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Theater heute Juli 2018
Rubrik: International, Seite 46
von Andreas Klaeui
Wehmütig flockt eine Melodie durch den verlassenen Raum. Sehr lang sei es her, verkündet der Refrain, «it is a very long time, a very long time ago». Was lange her ist, verkündet er nicht. Das müssen der stille Ort und seine merkwürdigen Menschen, die nach und nach und mit Teetassen bewaffnet auf die Bühne tröpfeln, schon selber erzählen.
Schau- und Werkplatz...
Sie sehen aus, als wären sie einer «Körperwelten»-Ausstellung entsprungen, die Muskelstränge sind freigelegt, das Skelett zeichnet sich am Brustkorb ab, fahle Haarbüschel bedecken ihre bleichen Schädel: Drei Wesen, die mehr tot als lebendig scheinen, torkeln auf die Burgtheater-Bühne (Kostüme: Victoria Behr). Stéphane Laimé hat einen weiteren Balkon gebaut und...
Über 150 ermordete Künstler in nur einem Jahr, und kaum einer weiß noch davon: Es ist ein «Museum des Vergessens», in das zwei junge georgische Theatermacher, der Regisseur Data Tavadze und der Autor Davit Gabunia, mit ihrem Stück «Tiger und Löwe» führen. Thema ist der stalinistische Terror in Georgien im Jahr 1937, als der gefürchtete Geheimdienstchef Lawrenti...
